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Israel blickt palästinensischen
Wahlen mit Sorge entgegen

Deutlicher Erfolg der radikalislamischen Hamas-Organisation befürchtet

Von Sara Lemel
Tel Aviv (dpa). Israel blickt der morgigen ersten palästinensischen Parlamentswahl seit zehn Jahren mit großer Sorge entgegen. Es befürchtet dabei einen deutlichen Erfolg der radikalislamischen Hamas-Organisation, die zum ersten Mal bei Parlamentswahlen kandidiert.
Wahlkampf in den Palästinensergebieten: Maskierte Anhänger der radikal-islamischen Hamas-Bewegung werben um Stimmen. Hamas kann nach Meinungsumfragen mit einem Drittel der Stimmen rechnen.

Im letzten Bemühen um eine dezente Stärkung der regierenden Fatah-Bewegung setzte die israelische Führung sogar auf einen besonders ungewöhnlichen »Verbündeten«: Den bislang als »Erzterroristen« bezeichneten Intifada-Führer Marwan Barguti, der wegen Beteiligung an tödlichen Anschlägen auf Israelis in Haft sitzt.
In einem beispiellosen Schritt erlaubte die Gefängnisbehörde dem Fatah-Spitzenkandidaten Barguti am Sonntag Interviews mit arabischen Fernsehsendern, die in den Palästinensergebieten für großes Aufsehen sorgten. »Von einem Terroristen wurde Kamerad Barguti jetzt zu einem Sprecher, von einem lebenslangen Häftling zu einem Kumpel«, schrieb ein Kommentator der israelischen Zeitung »Jediot Achronot« gestern.
Barguti spielte dabei allerdings nicht ganz wie erhofft mit: Er rief zur palästinensischen Einheit sowie zur Fortsetzung des Widerstandskampfs gegen Israel auf und nannte die Hamas einen »Partner«. Der Grundsatz »Brüder im Blut, Brüder in der Entscheidung« solle künftig auch im Parlament umgesetzt werden.
Eine mögliche Beteiligung von Hamas an der palästinensischen Regierung ist für Israel ein rotes Tuch. Ungeachtet der weitgehenden Einhaltung einer einjährigen Waffenruhe ist die Organisation, deren militärischer Arm im vergangenen Jahrzehnt Dutzende blutiger Anschläge auf israelische Zivilisten verübt hat, immer noch ein Erzfeind. Aus Regierungskreisen in Jerusalem drohte man, man werde sich im Falle einer Regierungsbeteiligung der Hamas von allen Verpflichtungen gegenüber den Palästinensern lossagen.
Der israelische Generalstabschef Dan Haluz sagte, Israel stelle sich für die Zeit nach den Wahlen auf eine neue Runde der Gewalt mit den Palästinensern ein. Auch vor einer möglichen Verschlimmerung des Chaos in den Palästinensergebieten und einem blutigen Machtkampf zwischen Fatah und Hamas um die Vorherrschaft wird gewarnt.
Es gibt allerdings auch politische Beobachter, die glauben, ein politischer Hamas-Erfolg könnte eher zu einer Beruhigung der Lage in Nahost beitragen. Im Falle einer Einbindung in Parlament und vielleicht auch Regierung würde Hamas, die in ihrem politischen Gewand als Wohltätigkeitsorganisation auftritt, sich nach ihrer Einschätzung die neugewonnene Legitimierung nicht mit blutigen Anschlägen verspielen wollen.
Die israelische Armee bereitet sich auf die morgige Palästinenserwahl mit der Operation »Weißer Winter« vor. Um Reibungspunkte zu verringern, sollen die Soldaten sich bis Donnerstagabend aus den Palästinenserstädten fern halten und Militäreinsätze unterlassen. Der amtierende Ministerpräsident Ehud Olmert wies seine Minister an, sich so wenig wie möglich zu den anstehenden Palästinenserwahlen zu äußern. Scharfe Äußerungen, etwa gegen die Hamas, könnten eher kontraproduktiv wirken, warnte er bei einer Sondersitzung am Wochenende. »Halten Sie sich bitte so weit wie möglich zurück.«
Abgesandte der US-Regierung hätten Israel versprochen, dass Washington eine palästinensische Regierung mit einer Beteiligung der Hamas nicht anerkennen werde, berichtete die israelische Tageszeitung »Haaretz«. Die Anerkennung einer solchen Regierung verstoße gegen US-Gesetze.
Der palästinensische Regierungschef Ahmed Kureia wies eine ausländische Einmischung in die Wahlen demonstrativ zurück, nachdem es Berichte darüber gegeben hatte, dass sich die USA für seine Fatah-Bewegung stark machten. »Niemand hat das Recht, die Wahl für uns zu treffen.«

Artikel vom 24.01.2006