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Wal stirbt am
Rettungsstress

Meeresbiologin: Zuviel Aktionismus

London (dpa). Der Londoner Themse-Wal ist trotz einer dramatischen Rettungsaktion verendet. Millionen von Menschen nahmen weltweit Anteil am Schicksal des Meeressäugers, der sich aus der Nordsee bis ins Zentrum der britischen Hauptstadt verirrt hatte.

Der Entenwal, der (wie berichtet) am Freitag inmitten Londons gesichtet worden war, starb am Samstagabend während der Fahrt auf einer Barkasse, die ihn in das offene Meer zurückbringen sollte. Britische Wissenschaftler begannen gestern mit der genauen Erforschung der Ursachen. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, warum der gut fünf Meter lange Entenwal die Themse 70 Kilometer bis ins Herz von London heraufschwamm, wo das Wasser für ihn lebensgefährlich flach war.
Tausende Zuschauer beobachteten vor Ort die dramatische Bergung des bei Ebbe gestrandeten Wals. Millionen verfolgten die Live-Übertragungen von TV-Sendern. Der Meeresriese starb trotz aller Bemühungen von Experten und freiwilligen Helfern am Samstag um 20 Uhr.
Hoffen und Bangen wechselten sich ab. Nachdem der Entenwal von einem Schwimmkran in einem luftgefüllten Ponton auf die Barkasse gehoben worden war, gab es zunächst Erleichterung. Dann aber habe sich der Zustand des gestressten Tieres zusehends verschlechtert, obwohl es mit Salzwasser begossen und mit Antibiotika gegen Verletzungen behandelt worden war. »Wir sahen, dass der Wal sich quälte und keine Chance mehr hatte«, sagte der Tierarzt Paul Jepson. »Deshalb entschieden wir, ihn einzuschläfern. Doch bevor wir das tun konnten, starb er vor unseren Augen.«
Nach Ansicht der Vorsitzenden der Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere in Hamburg, Petra Deimer, wurden in London allerdings Fehler gemacht. »Wenn das Tier nicht krank war, dann hat der Aktionismus es umgebracht«, kritisierte die Meeresbiologin gestern die Rettungsbemühungen. »Sicher war alles gut gemeint, aber es fehlte an Koordination.« Boote, Hubschrauber und Scheinwerfer hätten den Entenwal enorm unter Druck gesetzt. Zudem: »Einen Wal auf eine Trage zu hieven ist so, als ob man einen Nichtschwimmer ins Wasser stößt. Das bedeutet starken Stress«, erläuterte die Expertin. Wale seien extrem stressanfällig. Deimer: »Man darf einen Wal nicht umzingeln, man hätte die Richtung ins Landesinnere absperren sollen. Normalerweise finden gesunde Wale zurück ins Meer.«

Artikel vom 23.01.2006