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Spaßgesellschaft wird
schonungslos entlarvt

Molières »Menschenfeind« macht ein wenig atemlos

Von Burgit Hörttrich
Bielefeld (WB). Es ist ein gutes Stück. Eines, dessen Spiel mit Worten von ewiger Gültigkeit scheint. »Der Menschenfeind« von Molière, das als Aufführung des Theaters Bielefeld Premiere hatte, zeigt wie die Menschen, die Gesellschaft funktionieren: Wer die Wahrheit sagt, wird abgestraft, in der Politik und anderswo.
Alceste (Thomas Wolff, li.), der »Menschenfeind, liebt ausgerechnet die lebenslustige Witwe Célimène (Christina Huckle).Foto: Theater

Denn wie sagt es »Menschenfeind« Alceste, eindrucksvoll gespielt von Thomas Wolff, so schön: »Wer am besten lügt, der kommt in die Zeitung.« Uraufgeführt wurde die Komödie 1666, in Bielefeld geht sie in der Übersetzung von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens über die Bühne: zeitgemäß, aber keinesfalls aufgesetzt.
Alceste, ein junger Mann von Welt, hat einen Fehler: Er ist hemmungslos ehrlich, wendet sich gegen Heuchelei und Anpassertum, mag nicht schleimen (und zum Schluss auch nicht mehr reimen). Ausgerechnet er liebt die kokette Witwe Célimène - Christina Huckle gibt alles - die genau das ist, was er so verabscheut: Sie gibt die Regeln vor, nach denen die Party-Gesellschaft spielt. Verleumdung, Intrige, Lästerei und Herabsetzung bis hin zur Klage vor Gericht (auch heutzutage überaus beliebt) - Molière zieht die Akteure in einen Strudel, der mit leerer Bühne, einem Alceste, der sich in sich in sein Schneckenhaus zurück, endet.
Alceste, der Moralist, ist demontiert, denn er wendet seine eigenen Regeln nicht auf sich selbst an. Alle buhlen darum, Mittelpunkt der Spaßgesellschaft zu sein, alle kreisen um sich selbst. Immerhin: Wenigsten zwei sind zum Schluss glücklich. Philinte (Stefan Imholz) und ƒliante (Ines Buchmann) tun sich zum Paar zusammen - zunächst nur als »zweite Wahl«, aber letztendlich doch fürs Leben.
Oronte, von Mathias Reiter als exaltierten Selbstdarsteller gespielt, fordert ein »ehrliches Urteil« von Alceste über seine Dichtkunst, als er dieses Urteil aber bekommt, ruft er Justitia an. Arsinoé (Carmen Priego) kämpft nicht nur mit spitzer Zunge gegen Célimène, sondern entfacht einen Zickenkrieg, bei dem die Fetzen buchstäblich fliegen. Acaste (Max Grashof) und Clitandre (John Wesley Zielmann) machen sich ebenfalls Hoffnungen, auf Hand und Herz der schönen Witwe, werden von ihr aber enttäuscht, nachdem kompromittierende Briefe ins Spiel gebracht werden.
Christian Schlüter inszeniert den »Menschenfeind« in einer Wohnlandschaft von Jürgen Höth auf einer »Arena« samt Drehkarussell, die den Akteuren auch körperliche Höchstleistungen abverlangt.
Die Zuschauer am Seitenaus fühlen sich mitunter so, als wohnten sie einem Tennismatch bei, wenn sie die Darsteller im Blick behalten wollen. Schon bei der Suche nach den Plätzen werden die Theaterbesucher als potenzielle Partygäste von den Schauspielern mit eingebunden: »Schön, dass Sie gekommen sind!« »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?« Für Alceste, Acaste, Oronte, Célimène und Co. bleibt kaum Zeit zum Atemholen.
Aber: Hinhören lohnt. Denn es darf (in edler Selbsterkenntnis?) gelacht werden.

Artikel vom 23.01.2006