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»Ich bin mit dem Leben sehr zufrieden«

Nach dem Verlust eines Beines wurde Tim Großekathöfer (27) aus Verl Orthopädietechniker

Von Manfred Köhler
Verl (WB). Es war 17 Uhr, gerade Feierabend, Tim Großekathöfer warf seinen Vespa-Roller an und freute sich aufs Wochenende. Die Heimfahrt von seiner Lehrwerkstatt in Gütersloh nach Verl endete in einem Alptraum.

In einer leichten Kurve rutschte der Roller plötzlich unter ihm weg. Feiner Regen hatte an jenem Junitag vor zehn Jahren den Staub auf der Straße in einen tückischen Schmierfilm verwandelt. Mit voller Wucht prallte der damals 17-Jährige gegen einen Telegrafenmast. »Irgendwie schien ich noch mal davon gekommen zu sein«, erinnert er sich an sein erstes Gefühl. Doch als er aufstehen wollte, traf ihn der Schock: »Mein Bein sah merkwürdig aus. Da wusste ich gleich, dass etwas Schlimmes passiert war.«
Es war sehr schlimm: Die Ärzte konnten das linke Bein nicht mehr retten. Drei Monate verbrachte der angehende Kfz-Mechaniker nach der Amputation im Krankenhaus. »Es war eine schwere Zeit«, erinnert er sich an die Wochen nach dem Schicksalsschlag. Doch er war nicht allein: »Ich habe Superfreunde, die immer bei mir im Krankenhaus waren«, erzählt er, »und die Familie natürlich.« Außerdem: »In Traurigkeit zu verfallen ist nicht mein Ding«, sagt er und lächelt fröhlich.
Tim Großekathöfer beschloss, an das Leben anzuknüpfen, dass mit dem tragischen Crash auf der Landstraße zuende zu sein schien. Bald war er mit seinen Krücken auf den Treppen im Haus schneller als seine Eltern. Und bereits zu Weihnachten in jenem Schicksalsjahr konnte er mit seiner ersten Prothese prima umgehen. Von behindertengerechen Umbauten im Haus wollte er nichts wissen.
Und auf seine geliebten Vespa- und Lambretta-Roller und die vielen Treffen seines Rollerclubs, der »Scooter Run«, wollte er schon gar nicht verzichten. »Zum Glück habe ich das linke Bein verloren, so kann ich noch die Bremse auf meiner Vespa betätigen.« Es klingt wie Galgenhumor, aber Tim Großekathöfer meint es ernst. Wer in seine Scheune in Verl kommt, weiß warum: Dort stehen acht Oldtimer auf zwei Rädern, an denen er in jeder freien Minute herum schraubt.
Und wer ihn mit 130 Sachen bei Rollerrennen über die Piste jagen sieht, käme nicht auf den Gedanken, dass unter dem linken Hosenbein ein Hightech-Ersatz steckt. »Ich komme mit dem Bein wirklich gut klar«, betont er. Aber das hat ihn auch ein hartes Training gekostet und die Berufsgenossenschaft eine Menge Geld: »25 000 Euro kostet so ein Bein, und es ist so ziemlich das Beste vom Besten.«
Er muss es wissen, denn mit Prothesen kennt sich kaum einer besser aus als Tim Großekathöfer. Kein Wunder: Er baut selber elektronisch-mechanische Hilfen. Der heute 27-Jährige ist auf der jahrelangen Suche nach einem neuen Beruf schließlich bei der Orthopädie gelandet. »Eigentlich wollte ich die Kfz-Mechaniker-Lehre zuende machen, aber das war mit eine Prothese einfach zu schwierig«, erinnert er sich. Über die so genannte Berufsfindung fand er zunächst nichts Passendes, bis ihn ein Praktikum in die Orthopädiewerkstatt Mitschke in Gütersloh führte - die gleiche Firma die ihm zwei Jahre zuvor geholfen hatte, wieder mit zwei Beinen im Leben zu stehen. »Da wusste ich, hier bin ich richtig«, erinnert sich Tim Großekathöfer.
Das war vor acht Jahren. Inzwischen ist er in seinem Metier schon seit fünf Jahren als Geselle tätig. »Die Arbeit macht Spaß, ist sehr interessant und ich habe den Ehrgeiz immer noch besser zu werden«, erzählt er und gibt zu verstehen, dass er überhaupt mit dem Leben sehr zu frieden ist. Zu diesem Glück hat vor allem auch Freundin Martina Alterbaum beigetragen. Sie sind unzertrennlich. Und die 27-jährige Studentin bewundert die positive Lebenseinstellung ihres Freundes sehr: »Das ist schon toll«, freut sie sich. »Man darf halt den Kopf nicht in den Sand stecken und seine Ziele nicht zu hoch hängen«, sagt Tim Großekathöfer, während er seine Sportsachen zusammenpackt. Er hat an diesem Abend noch was vor: Eine Stunde Training im Fitnessstudio steht auf dem Programm. »Dreimal in der Woche gehe ich hin, das muss sein.«

Artikel vom 28.01.2006