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Sorgen um politische
Zukunft des Kosovos

Rugova galt als Vorkämpfer der Unabhängigkeit

Von Dubravko Kolendic
Pristina (dpa). Nach dem Tod Ibrahim Rugovas, des bedeutendsten Vorkämpfers für die Unabhängigkeit des Kosovo, wächst die Sorge über die politische Zukunft der südserbischen Unruheregion.

Der Beginn der ursprünglich für Mittwoch geplanten Verhandlungen darüber wurde vorerst auf Anfang Februar vertagt. Der langjährige Führer der Kosovo-Albaner, der die albanische Delegation bei den Gesprächen in Wien leiten sollte, genoss sowohl unter seinen Landsleuten als auch international großes Ansehen. Er wird nur schwer zu ersetzen sein.
Die Führer der Kosovo-Albaner seien untereinander zerstritten und hätten nicht die übergreifende Autorität Rugovas, warnten Beobachter in Pristina. Das bewog auch den Chef der UN-Verwaltung, Soeren Jessen-Petersen, die Albanerführer umgehend zur Einigkeit in diesem für die Provinz »entscheidenden« Augenblick aufzurufen. Die Politiker und das Volk müssten zusammenhalten und »Reife und Weisheit« zeigen, mahnte Jessen-Petersen.
Die unter internationaler Vermittlung geplanten Gespräche der Kosovo-Albaner und der serbischen Regierung sollten eigentlich bereits am Mittwoch in Wien beginnen. Nun hat der UN-Chefunterhändler für das Kosovo, Martti Ahtisaari, den albanischen Politikern eine kurze Frist für die Ernennung eines neuen Delegationsleiters gegeben. Mindestens drei Politiker haben die Absicht erkennen lassen, Rugova zu ersetzen.
Formell müsste der amtierende Präsident, der Parlamentsvorsitzende Nexhat Daci, die Delegation leiten. Auch Lutfi Haziri, der wie Daci der Rugova-Partei LDK angehört, ist als Delegationsleiter im Gespräch. Die LDK beansprucht als stärkste Partei im Parlament diese Position für sich. Das könnte ihnen aber der frühere Kommandant der Rebellenarmee UCK, Hashim Thaci, der auch die Demokratische Partei Kosovos führt, streitig machen. Er kann auf die Unterstützung anderer extremerer Parteien und Gruppen setzen, die im Gegensatz zu Rugova nur den bewaffneten Kampf als Weg in die Unabhängigkeit ansahen.
Rugovas Tod könnte die ohnehin instabile Lage im Kosovo weiter verschlechtern, warnten Vertreter der Kosovo-Serben, die den Präsidenten und seine gewaltfreie Politik geschätzt hatten. Rugova sei ein »kluger« Anführer der »Separatisten« gewesen, sagte Momcilo Trajkovic, einer der Serbenführer. Er habe die Serben »überlistet« und die Lösung des Kosovo-Konflikts internationalisiert.
Gerade deswegen müsse die internationale Gemeinschaft sich aktiv um eine »gerechte« Lösung des Streits bemühen, fordern die Serben. Gerecht bedeutet nach serbischer Lesart, dass die zu 95 Prozent von Albanern bewohnte Provinz keine staatliche Unabhängigkeit erhalten soll. Das ist aber für alle Kosovo-Albaner - ungeachtet aller politischen Divergenzen - unannehmbar.
Den Mann mit dem locker um den Hals geschwungenen Seidenschal als Markenzeichen hatte die zunehmende Unterdrückung des Kosovos durch die Serben in die Politik getrieben. Der Literaturwissenschaftler und Dichter wurde seit Ende der 80er Jahre zur Speerspitze des Widerstandes gegen die brutale und gewaltsame Zentralisierung durch den damaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic. Da alle wichtigen Positionen den Serben vorbehalten waren, bauten die Albaner unter Rugovas Führung ein Parallelsystem in Verwaltung, Gesundheit und Bildung auf.
Für seine Gewaltfreiheit, die hartnäckige Verfolgung seines politischen Traumes und als Anerkennung, die Kosovo-Frage international bekannt gemacht zu haben, wurde Rugova 1998 mit dem »Toleranzpreis« der Stadt Münster und dem »Sacharow-Preis« des Europaparlaments ausgezeichnet.

Artikel vom 23.01.2006