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Stanislaw Jerzy Lec,
polnischer Autor
(1909 - 1966)

»Sein Gewissen war rein. Er benutzte es nie.«

Leitartikel
Naher Osten ist sehr nah

Zwischen Alarm und Fehlalarm


Von Rolf Dressler
So gut wie alle tun es. Und ge- fallen sich ganz mächtig darin. Ob Gewerkschaften, Politikschaffende und Wohlfahrtsverbände, öffentliche wie private Krankenkassen-Organisationen, Automobilclubs, Umwelt-Aktivisten, Bauindustrie, Banken und Sparkassen, Rentenversicherer, Beamtenbund, Ärzte, Sportvereine, Stiftung Warentest, die Landwirtschaft, Schulen und ungezählte andere Zu-Wort-Melder mehr: Pausenlos wird im riesengroßen Polit- und Mediengetümmel unserer Zeit irgendwo »Alarm geschlagen«. Denn nur dadurch, so meinen die meisten, könne man sich noch Gehör verschaffen.
Eines aber bedenken die meisten offenbar nicht: dass die Adressaten, vor allem das breite Bürger-, Wähler-, Arbeitnehmer- und Verbraucher-Publikum, schlicht auf Durchzug schalten, wenn Tag für Tag schon wieder jemand aus irgendeiner Ecke »Alarm schlägt«.
Zu verdenken ist den Leuten das nicht, weil Berufs-Alarmisten oft buchstäblich jede Mücke zum Elefanten aufblasen. Denn das stumpft derart ab, dass selbst ein berechtigter Warn- und Mahnruf womöglich gar nicht ernstgenommen wird. Die Folgen aber können existentiell fatal sein.
Willkommenes Futter indes liefern aus umgekehrtem Blickwinkel die Berufs-Beschwichtiger gerade hier bei uns Deutschland. Dazu zwei Schlaglichter:
- Obwohl die Zahl der Opfer des islamistischen Massenterrors mit jedem Tag, ja, jeder Stunde noch weiter ins Uferlose wächst, halten diverse Polit-Lautsprecher den abermillionen besorgten Menschen kaltlächelnd vor, einem an- geblich »überzogenen Sicherheitsbedürfnis« anzuhängen.
- Szenenwechsel auf ein eng verwandtes Krisenfeld, denkwürdig widergespiegelt auch in einem Gespräch mit der »Frankfurter All- gemeinen« vom 4. Januar 2006. Dort verbreitet sich der Palästinenser Mahmud Zahar, von Beruf Arzt, hauptamtlich aber Führer der terroristischen Hamas in Gaza, genüsslich darüber, dass die Hamas keine Terrororganisation sei.
Und der Interviewer, so scheint es, bestärkt ihn darin sogar noch mit der Bemerkung, die Hamas habe im sozialen Bereich durchaus auch viel Gutes geleistet; außerdem wolle die Hamas-Führung die Grenzfestlegungen von 1967 doch endgültig akzeptieren.
Im palästinensischen Wahlkampf hingegen schlägt derselbe Mann völlig andere Töne an: Israel sei und bleibe für immer der Feind Nummer 1, werde niemals Partner der Palästinenser in friedlicher Nachbarschaft. Weder die Grenzen von 1967 noch die von 1948 würden je anerkannt.
Das aber bedeutet in der erschreckenden Konsequenz - weit über den Nahen Osten hinaus: Mahmud Zahar und die ihm Gleichgesinnten an der Hamas-Spitze würden den jüdischen Staat mitsamt seinen Bewohnern lieber heute als morgen auslöschen.
Ein schauderhaftes politisches Programm, entlarvend offen vorgetragen.
Wenn das nicht Anlass ist, Alarm zu schlagen - was dann?

Artikel vom 21.01.2006