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Pflegerin soll
getötet haben

Neun Opfer in Altenwohnheim?

Bonn (dpa). Die wegen des Todes von neun Patientinnen angeklagte Altenpflegerin Michaela G. hat gestern vor Gericht alle Vorwürfe bestritten. »Ich habe diese Frauen nicht getötet«, sagte die Angeklagte (27) zum Auftakt des Mordprozesses vor dem Bonner Landgericht.

Neun Patientinnen waren in einem Altenheim in Wachtberg bei Bonn gestorben - zu Dienstzeiten der Pflegerin. Zum Auftakt des Mordprozesses widerrief die Frau frühere Geständnisse: »Das waren alles Lügengeschichten«.
Laut Anklage soll sie neun bettlägerigen und pflegebedürftigen Seniorinnen des Limbachstifts im Alter zwischen 79 und 93 Jahren erstickt haben. In sechs Fällen mit einem Kissen, in einem Fall mit einem Handtuch oder einem Waschlappen, den sie auf Mund und Nase gedrückt haben soll.
Die Motive seien unterschiedlich gewesen: In einigen Fällen sei sie durch die Pflegefälle genervt gewesen, in anderen habe sie aus Mitleid mit den hilflosen Frauen getötet. In vier Fällen wird ihr ein Mord vorgeworfen, bei weiteren vier ein Totschlag und in einem Fall eine Tötung auf Verlangen.
Die Angeklagte stellt es anders dar: »Es war schwer zu erleben, wie die alte Menschen leiden mussten. Aber ich habe keiner Bewohnerin etwas angetan.« Eine der Bewohnerinnen, der es schon sehr schlecht gegangen sei, habe sie gebeten, mit ihr zu singen. »Das habe ich auch getan. Dann ist sie endgültig eingeschlafen.«
Der Prozessauftakt verlief mit großem Aufsehen. Seit den Tagen des Flick-Spendenprozesses vor 20 Jahren erlebte das Bonner Landgericht keinen solchen Andrang mehr. Die Angeklagte hatte den Fotografen und Kameraleuten erlaubt, ihre Objektive auf sie zu richten.
Nach der ersten Anspannung wirkte die stämmige Frau mit kurzem, dunklem Haar während der gesamten Verhandlung gefasst. Auch antwortete sie betont sachlich auf Fragen des Gerichts und des Staatsanwaltes. Keine Tränen, keine Zusammenbrüche. Selbst als sie vom Tod der neun Frauen sprach, die sie alle sehr genau kannte und lange betreut hatte, zeigte sie keinerlei Gefühlsregung. »Ich habe die Heimleiterin mal gefragt: Warum sterben die Leute immer bei mir? Da hat meine Chefin geantwortet: Bei Dir können sie alle loslassen.«
Der Anklage zu Grunde gelegt hatte die Staatsanwaltschaft das Geständnis der Frau, das sie im Juni 2005 abgelegt hatte. Seitdem sitzt die gelernte Kinderpflegerin in Untersuchungshaft. Wenige Wochen später widerrief sie ihr Geständnis. Alles sei »frei erfunden« gewesen. Diese Aussage bekräftigte sie nun auch im Gericht. »Ich wusste nicht mehr, was Lüge, was Tatsache war.«
Grund für die »Lügengeschichten« sei ihr überaus großes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Liebe, erklärte ihr Anwalt. Nur mit erfundenen Dingen habe sie ihr Leben lang Zuneigung und Trost bekommen. Dazu gehöre die Behauptung, jahrelang von ihrem Großvater sexuell missbraucht worden zu sein. Acht Verhandlungstage hat das Schwurgericht für die Aufklärung der Todesserie angesetzt.


Artikel vom 20.01.2006