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»Sanktionen sind ein Mittel, bei dem sich der Westen aber auch ins eigene Fleisch schneidet.«

Leitartikel
Chiracs Atom-Drohung

Iran auf
den Leim
gegangen


Von Dirk Schröder
US-Präsident George W. Bush hat Teheran schon früher mit einem Militärschlag gedroht - und damit die islamische Welt nur noch enger um den Iran geschart. Aber auch Europa zeigt für diese Überlegungen wenig Verständnis, der Krieg im Irak hat doch nur allzu deutlich offenbart, dass sich auf diese Weise der Nahe Osten nicht befrieden lässt. Auch sind die islamische und die christliche Welt seitdem weiter denn je von einem friedlichen Nebeneinander entfernt.
Die Führung im Iran macht praktisch keine Anstalten zur Zusammenarbeit mit dem Westen. Man muss sich daher große Sorgen machen über die extrem halsstarrige Haltung des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Mit der Wiederaufnahme des Atomprogramms hat Teheran zweifellos eine Linie überschritten, die nicht ohne Antwort bleiben kann.
Natürlich geht es dem iranischen Präsidenten nicht um die friedliche Nutzung der Kernenergie, er will die Atombombe. Die Provokation Europas und der USA betreibt er deshalb völlig bewusst. Ahmadinedschad will den Westen reizen und zu unüberlegten Handlungen zwingen. Innenpolitisch will er sich damit mehr Rückhalt verschaffen, außenpolitisch sucht er den Rückhalt der islamischen Welt. Zu dieser Strategie gehören auch seine schlimmen Entgleisungen gegenüber Israel.
Es ist ein gefährliches Spiel, das er hier treibt, auf das der Westen trotzdem besonnen reagieren sollte. Doch der französische Präsident Jacques Chirac tut geradezu das Gegenteil. Vor dem Hintergrund des Atomstreits droht er der Terrorstaaten unverhohlen mit dem Einsatz von Atomwaffen.
Was hat ihn dabei nur geritten? Er muss sich doch darüber im klaren sein, dass er mit dem Abwurf einer Atombombe den nächsten Krieg im Nahen Osten auslösen würde. Die Folgen sind nicht auszumalen. So zynisch es klingen mag, Chirac ist allein mit dieser Drohung dem unberechenbaren Machthaber in Teheran auf den Leim gegangen.
Natürlich muss der Westen auf die Provokation reagieren. Dabei sollte aber nicht außer acht gelassen werden, dass nicht nur der Präsident, sondern auch die anderen Eliten des Landes am Recht auf Uran-Anreicherung nicht rütteln lassen.
Gewiss, der Iran hat viel Vertrauen verspielt, doch der Atomsperrvertrag erlaubt nun einmal die Möglichkeit der Uran-Anreicherung. Also kann es nur darum gehen, dass die Wiener Atomkontrolleure weiter Zugang zu Irans Atom-Aktivitäten haben.
Sanktionen sind ein Mittel, bei dem sich der Westen aber auch ins eigene Fleisch schneidet. Er wird diesen Weg mit noch höheren Öl- und Gaspreisen teuer bezahlen müssen. Also noch einmal zurück zu Verhandlungen. Wurden bisher wirklich alle Möglichkeiten ausgeschöpft? Vielleicht können die Europäer den Iran doch noch davon überzeugen, dass man an guten Beziehungen interessiert ist.
Chiracs Atombomben-Drohung bewirkt eher das Gegenteil.

Artikel vom 20.01.2006