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Chirac droht Atomschlag an

Terrorstaaten im Visier - Iran nicht ausdrücklich genannt

Paris/Berlin (dpa). Inmitten der Krise um das iranische Atomprogramm hat Frankreichs Präsident Jacques Chirac gestern Terrorstaaten unverhohlen mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht.

Der französische Staatspräsident sagte auf dem Atom-U-Boot-Stützpunkt Ile Longue in der Bretagne, auch »die Garantie unserer strategischen Versorgung und die Verteidigung verbündeter Staaten« könnten zu den Interessen zählen, die den Einsatz von Kernwaffen rechtfertigen.
Gegen welche Staaten sich diese französische Atomwaffenstrategie richten könnte, sagte er nicht. Die westlichen Staaten hegen die Befürchtung, Iran könnte Atomwaffen bauen und Israel bedrohen.
»Die Führer von Staaten, die gegen uns auf terroristische Mittel zurückgreifen, sowie alle, die den Einsatz von Massenvernichtungswaffen erwägen«, müssten mit einer »angepassten« Antwort Frankreichs rechnen, sagte Chirac. Diese Antwort würde sich nicht auf den Einsatz konventioneller Waffen beschränken.
Zu den vorrangigen Aufgaben zähle der Kampf gegen den Terrorismus. Nicht vergessen dürfe man darüber aber »die Versuchung gewisser Staaten, sich unter Bruch der Verträge mit Atomwaffen auszustatten«, sagte Chirac. »Unsere Welt wird vom Auftauchen von Machtansprüchen geprägt, die auf dem Besitz atomarer, biologischer oder chemischer Waffen beruhen.«
Frankreichs Atomwaffenarsenal sei so beschaffen, dass Paris »flexibel« auf eine Bedrohung reagieren könne, sagte Chirac. »Gegen eine Regionalmacht haben wir nicht nur die Wahl zwischen Untätigkeit und Vernichtung.«
Mit seiner Rede definierte Chirac die französische Doktrin der Abschreckung neu. Bisher behielt sich Frankreich den Einsatz von Kernwaffen nur für den Fall einer Bedrohung seiner territorialen Integrität, seiner Bevölkerung und Souveränität vor.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Premier Dominique de Villepin sprachen sich in Berlin im Atom-Konflikt mit Iran für ein breites Bündnis aus.
Merkel und de Villepin nannten es vorrangig, in der Internationalen Atomenergie-Organisation einen Konsens herzustellen. Danach könne es weitere Etappen geben. Eine Anrufung des Weltsicherheitsrates ließen beide noch offen.
In Kairo zeigte sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier gestern gemeinsam mit der Arabischen Liga besorgt. Es gebe die gemeinsame Sorge, dass eine Nuklearisierung Irans eine weitere Gefahr in den Nahen Osten bringe, sagte Steinmeier nach einem Gespräch mit dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Mussa.
Mussa betonte aber zugleich, es gehe darum, den ganzen Nahen Osten frei von Massenvernichtungswaffen zu machen. Israel verfüge aber über ein ganzes »Atomwaffen-Arsenal« und befinde sich außerhalb jeglicher internationaler Kontrolle. Auch dies sei eine große Gefahr.
Frank-Walter Steinmeier machte klar, dass die EU an einer diplomatischen Lösung interessiert sei und dazu ihr ganzes Gewicht in die Waagschale werfen würde. Man stehe in enger Abstimmung mit Russland und USA. Es spreche nichts dafür, dass »irgendjemand der Beteiligten eine militärische Option im Kopf hat«.
Seite 4: Leitartikel
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Artikel vom 20.01.2006