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Und er schilderte, welche tierärztlichen Kenntnisse und Erfahrungen zu seinem Amte gehörten, und er begeisterte sich an seinen Erfolgen bei dieser ihm anvertrauten Herde.
Plötzlich kam er auf den Ausgangspunkt des Gespräches zurück. »Glauben Sie man, Fräulein, manchmal sehe ich von weitem jemand vorüberkommen und denke so bei mir: ÔWenn der man nich viel zu erzählen hat, indem daß er einen das bestimmte Vornehmen unterbricht, bis dies und das gehandfertigt is.Õ«


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r wischte mit der Hand übers Gesicht, und es war, als hätte er es damit in andere Falten gelegt. »Manchmal, ja, da kömmt ne ruhige Zeit. Und auf diese Art und Weise freut man sich, wenn man so seine Gedanken haben kann. Sehen Sie, Fräulein, unsereiner steht immer oben aufÕm Kampe, ganz oben - die andern, die in Tagelohn arbeiten, gehen allenthalben mit ihrer Schüppe - ümmer so«, er senkte den Kopf, »ümmer mitÕm Koppe nach unten - die sehn nich, was unsereiner sieht; wenn die Turmglocke schlägt, kommen sie, und wenn sie wieder schlägt, gehen sie. Ich brauche keine Turmglocke, ich weiß nach der Sonne, wo ich hin muß, denn Tag und Jahr hat allerhand Besonderheit, man muß nur die Augen in der Erkenntnis haben.«


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lötzlich kam er einen Schritt näher und redete leiser: »Ja, die Leute sagen, ich wäre nich fromm, weil ich nich nach der Kirche gehe; is ja wahr, der Willem könnte woll mal hüten; ja, das könnte er; aber wenn man selbst nich dazwischen is, denn hat man doch keine Ruhe nich; und so bleibe ich lieber davon und lasse die Leute reden. Aber, glauben Sie man, oft, wenn die Sonne da hinterm Walde steht und da hin geht«, er hob den Arm, als wollte er weit über die Erde hinauszeigen - »wo wir nich mehr hinsehen können«, - er schloß die Augen und faßte sich auf die Brust - »denn is mir doch oft so schön zu Sinn, daß ich woll bei mir denke: ÔMensch, ich glaube, du hast gebetetÕ.«
Als Anna von ihm ging, hatte der Abendnebel schon die Linien der Landschaft ausgewischt. Aber sie fühlte, daß die strenge Herbstluft sie bekannt und vertraut anfaßte.
»Ja, wer das könnte, so mit aller Kraft und Verantwortung sich einer Arbeit hingeben«, dachte sie, »und in den Feierstunden fromm sein wie Milius.« Das war schon von Kind auf ihre Sehnsucht gewesen, die sich in den mannigfaltigen ungeschickten Versuchen Luft gemacht hatte. Aber daß Pflichterfüllung so beglückend ist, hatte sie bisher doch nur in einer gewissen Art von Büchern gelesen, deren Stil zu fest behauptend ist, um recht glaubhaft zu sein; erst Milius hatte sieÕs wirklich begreifen gelehrt.
Und je ehrfürchtiger sie an dieses Gespräch dachte, desto mehr schämte sie sich, das Glück in einer Fremde gesucht zu haben, die ihr nun einmal verschlossen sein sollte.


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ber diese Gedanken waren doch nicht so einfach zu lösen, wie sie glaubte, als sie, von neuer Offenbarung erfüllt, den Schäfer verließ. Sie hatte doch einmal einen Augenblick lang gefühlt, daß die Liebe die Herrlichkeit des Lebens ist, daß sie hinführt zum Herzen der Erde, wo Ruhe und Wachstum sich ablösen, wo ein starker Daseinswille über einen kommt, wie über Pflanzen und Blumen, die sich in betäubendem Blühen offenbaren!


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a, dieser Augenblick war nicht mehr auszulöschen, wenn er auch noch so kurz war und wenn auch er, an dem er sich entzündet hatte, nicht zu ihr gehörte.



Einundzwanzigstes Kapitel

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nna führte jetzt ihr Vorhaben aus und trat beim Roten Kreuz ein.
Und sie atmete erleichtert in der neuen, streng gefügten Welt der Arbeit und Entsagung, die alle fernschweifenden Träume und Gedanken einengt in ihren gewissenhaften Raum, dessen Wände so manche kostbare Befriedigung ziert.

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ie Schwestern waren sehr zufrieden mit ihr. Namentlich die kleine, runde Oberschwester, die jeder fürchtete; besonders wenn sie bei der Visite hinter dem Arzt einherrollte; denn dann pflegte sie ihre eigene Aufregung zu übertonen durch die, welche sie bei ihren Untergebenen verbreitete, infolge eines stehengelassenen Besens oder einer undeutlich geführten Fieberkurve. Anna aber wurde von ihr bevorzugt; weil sie einen Tadel von ihr sehr ernst nahm; denn die Oberschwester konnte nicht wissen, daß dieser Ernst mehr mit der Vollkommenheit der Arbeit zu tun hatte, wie Schäfer Milius es meinte; sondern sie nahm ihn als persönliche Anerkennung ihrer Übermacht.


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nd außerdem war ihr Anna für die freien Sonntagnachmittage unentbehrlich; denn sie hatte sich gleich gedacht, daß so jemand Feines Klavier spielen könnte. Und so veranlaßte sie Anna, Volkslieder zu spielen auf dem Klavier in der Schwesternwohnstube, das gewöhnt war, bei der Morgenandacht heiligeren Zwecken zu dienen, und das sich deshalb nicht ohne angestrengtes Werben zu derartigen, schneller sich folgenden Tönen herbeiließ. Aber die Oberschwester kannte keine Schonung ihrer Untergebenen. Anna mußte spielen, wenn sie auch schon ganz heiß und müde war; denn die Oberschwester war noch nicht müde, sondern saß, aus ihrer runden Kleinheit aufgereckt, im Sessel und ermunterte den Takt mit temperamentvollen Kopfbewegungen. Rings umher standen die Schwestern in Reihen und sahen ergriffen das verklärte Leuchten in ihren bösen Augen - denn dies machte, daß Anna nicht aufhören konnte zu spielen, was auch ihnen sehr willkommen war, weil diese Volkslieder die sonntäglich erlaubten Träume in die ferne Welt auf die Schwingen ihrer weithin tragenden Rhythmen nahmen.


Nun hatte Anna, was sie sich von Kindheit auf gewünscht und in mannigfaltigen, ungeschickten Versuchen angestrebt hatte: eine Arbeit, der sie sich mit aller Kraft und Verantwortung hingab. Und abends, wenn sie müde war, oder im angestrengten Aufsitzen während einer Nachtwache, fühlte sie die Wohltat der ausgenutzten Kräfte. Und dann erging sie sich in dem Plan, auf immer in dieser Arbeit zu bleiben, die nicht nur das Leben leicht macht, weil sie eine Pflichterfüllung fordert, die man zu leisten vermag, sondern die auch über den Tod beruhigt, weil man sich überzeugt, daß er meistens zu den Kranken kommt, wenn sie ihm das Leben nicht mehr vorziehen können.


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ber nicht immer war Anna müde genug, um sich zu bescheiden mit dem Abwickeln von Leben und Tod innerhalb der festumschließenden Krankenhausmauern; inmitten von Menschen, die vor lauter Arbeit selbstzufrieden werden, und von Kranken, die sich stets ihre Schmerzen zugute halten können.
Manchmal stand Anna am Fenster und sah auf die kahle Linde im Hof, deren Zweige wie von vorzeitigem Altern spröde und knochig aussahen, und sie sagte ihr: »Du hast auch nur deine Pflicht getan und stehst nun hier im Hofe als ein ordentlicher Baum. Aber draußen im freien Lande - was wäre da wohl aus dir geworden!«

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nd es ging mit der Arbeit im Krankenhaus wie mit jeder Arbeit: Nur, während sie über den Horizont der Zukunft kommt, strahlt sie leuchtende Befriedigung aus; während sie im Zenit steht, kann man ihr nicht in die volle Helle sehen; und wenn sie wieder hinter einem versunken ist, bleibt von der Befriedigung nicht ein Strahl übrig.
Nun war die Lehrzeit abgelaufen, und Anna kehrte wieder zurück nach Brakenhorst.
In den engen Stuben und Gängen des Krankenhauses war es beglückend gewesen, sich die Heimat vorzustellen, mit ihrem großen Eigentum von Himmel und Erde.
Anna ging wieder über die Felder. Unter den Schollen hörte man noch das Reißen von hartgesponnenen Eisfäden, als sollte nun mit allem Gewesenen, Winterlichen, gebrochen werden, weil der Frühling bald kommen mußte.

(wird fortgesetzt)

Artikel vom 20.02.2006