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Aber sie redete lange kein Wort, denn es war auf einmal ein wohltuendes, geradezu beglückendes Traurigsein geworden; das unwirsch versengende Feuer hatte sich gesammelt zu einer stillen, andächtigen Opferflamme, und ihr Weinen an Erichs Schulter wurde sanft und vertraulich.
»Was ist es, Anna, sag es mir«, bat er wieder.
Und sie hob endlich den Kopf und sah in sein Gesicht, das ernste, gütige Falten hatte und alles verstehen würde. Niemand konnte merken, daß es das gleiche braune Sofa war, das neulich so wenig Entgegenkommen gezeigt hatte.

Anna wischte noch einmal über ihre Augen. Dann sagte sie es ohne Scheu, weil es doch Erli war, der ihr ja auch immer alles anvertraut hatte: »Du weißt - der vom Gartenfest in Italien.«
Die ernsten, gütigen Falten in Erichs Gesicht beschränkten sich auf den Ernst.
»Wieso, hat er noch weitere Verbindung mit dir gesucht?«
Annas Tränen kamen wieder, aber nicht mehr so wohltuend und beglückend wie eben, denn was wird Erli dazu sagen!
»Nein«, sagte sie beklommen, in Pausen, »ich habe ihm geschrieben - ich wollte ihn so gern noch einmal wiedersehn.«

Erich setzte sich in die Sofaecke zurück und sah sie an. Seine Hand war nicht mehr auf ihrem Rücken und nicht mehr am Gespräch beteiligt.
»Du - ja ich verstehe gar nicht - das war doch keine ernsthafte Sache!«
»Nein«, sagte Anna schnell, »du meinst - heiraten - nein, das wollte ich ihn nicht - aber...« Sie fing wieder an zu weinen: »Ich hab noch nie jemanden so liebgehabt.«
Nun gab das Sofa wieder den Ton an; denn es war sehr peinlich für Anna, zu erzählen, wie alles kam.

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rich nahm die Sache mit Strenge und Einfachheit. »Du hast also endlich eingesehen, daß du ihn im Grunde nicht magst - na also - was soll denn nun noch all dies!«
»Jetzt«, schluchzte sie, »jetzt hab ich erst recht Heimweh nach ihm.«

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as hätte sie nicht sagen sollen; denn so etwas ist für einen vernünftigen Mann ganz unbegreiflich. Und Erichs Stimme wurde scharf und scheltend. Nicht nur, weil er die Überlegenheit seines Charakters endlich auch einmal beweisen konnte; es war eine wirkliche Enttäuschung über Anna. Das fühlte sie. Daß sie an einem Karnevalabend sich hatte küssen lassen - es war ihm zwar damals auch nicht recht, doch so etwas konnte er entschuldigen - aber dies!
»Außerdem - du hast dir was vergeben«, sagte er, und seine Worte bestärkten sie in ihrer Traurigkeit; denn jetzt fühlte sie zu allem, daß Erli sie nie verstehen würde, sondern daß er sie verurteilte.



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ls sie auseinandergingen, gab es nichtmal einen Grund zu einer Versöhnung. Nachdem Erich ihr seine Ansicht gesagt hatte, war er wieder höflich zu ihr, aber er sah sie an mit einem kühlen, beobachtenden Blick. Merkwürdig, so ähnlich wie Walström sie neulich angesehen hatte, nur daß es jetzt noch unerträglicher war.



Zwanzigstes Kapitel

Als Anna nach Haus kam, war die Zeit, da das niedere schwere Land seine ureigenste Schönheit offenbart. Denn der erste Frost war darüber hingegangen. Der braune feuchtglänzende Acker zog entblößt und einsam die sanften Hügel hinauf, und die fleißigen Ochsen stampften mühsam die Schollen nieder. Die Alleen und Gehölze streckten sich kahl in unheimlich geisterhafter Gestalt; nur einzelne Straßen roter Ebereschen waren noch nicht ganz verlöscht.

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m Hofe stand der Nebel oft tagelang, so daß die hellen Tropfen an den schwarzen Zweigen hängenblieben. Und die auf und ab wogenden Tierlaute der Ställe und nach Feierabend die Ziehharmonika drangen wie aus weiter Ferne.
Früher als Kind hatte Anna dieser Zeit einen seltsamen Reiz abgefühlt. Wenn sie mal in der Dämmerung mit den Eltern durch die Alleen fuhr, neben dem leidvollen Winde her, der unschlüssig die scharfduftenden Blätter auf dem Boden hin und her schiebt. Wenn abseits durch die dunklen Stämme ein Gehöft durchschimmerte, dann genoß sie das Behagen aller Menschen, die eine warme Stube haben.

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nna ging in den Park und streifte am Gebüsch die weißen Knallbeeren ab und zertrat sie auf dem Boden. Sie ging hinaus aufs Feld; über die Wiesen, in den Wald, und noch weiter. Denn sie mußte ihre Heimat suchen.
Es war so erschreckend, daß sie die Heimat immer noch nicht gefunden hatte. Auch auf der Heide nicht. Und sie schaute zu, wie die Sonne über dem Kamp hinter der Windmühle niederging; wie alle grauvermummte Einsamkeit sich sammelte auf dem Kamm der fernen Hügel und ansteigenden Äcker und das wehrlose, todesbleiche Land umzingelte.
Da dachte sie, daß nun die Schiffer in Italien die Fahnen einholen; weil die Sonne fortgeht und den Tag mit sich hinabnimmt.

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ie machte sich auf und ging zum Kamp hinüber, wo Schäfer Milius seine Hürden zur Nacht einrammte. Sie sah wohl, daß er sehr beschäftigt war; aber sie mußte ein Wort mit ihm sprechen. Erst hatte sie stumm seinen Hammerschlägen zugeschaut, dann fragte sie plötzlich: »Sagen Sie, Milius, wird es Ihnen nie schwer, daß Sie immer so allein sein müssen?«
Milius ließ seinen Hammer in der Luft ausschwingen, daß es einen feinen, sicheren Ton gab; dann legte er ihn fort und sah Anna aus belustigten Augen an.

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ch? Ob mich das schwer wird, so alleinig?« Er stellte sich breit und großartig vor sie hin. »Ja, da denken sich die Leute woll, wenn sie unsereinen so stehen sehen, immer auf denselbigen Flecke, daß einen könnte die Zeit lang werden.«

Er dachte nach und nickte wie aus höherem Wissen: »Da ist die Arbeit gut vor! Das können Sie mich glauben! Sehen Sie mal hin!« Er wies auf seine Herde: »Die sind nich wie unsereiner, daß sie hübsch auf sich passen; wenn ich nicht jedes akkurat im Auge habe, dann passiert dies und das - in Besonderheit das zu schnelle Fressen, denn auf diese Art und Weise kann man die besten Schafe verlieren. Aber die meiste und gefahrvollste Arbeit ist die Lammzeit; denn das ist auf Leben und Tod für die Schafe, bei alt und jung eine gefahrvolle Zeit.«


(wird fortgesetzt)

Artikel vom 18.02.2006