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Achtzehntes Kapitel
Eines Tages traf Anna Luise Pahlsbröker mit ihrem Vater auf dem Felde. Sie war noch geradeso scheu wie damals nach der Pension, als sie Anna zum erstenmal als erwachsene Dame vor sich sah, und antwortete nur knapp auf ihre Fragen.
»Du hast mich lange nicht besucht, Luise! Ihr hattet wohl tüchtig zu tun, auch viel Einquartierung, nicht wahr? Es kamen da mal im September vier Leutnants zu uns, die bei euch in Quartier lagen.«
Luise nickte schnell und drehte sich nach ihren Rüben um. Anna verabschiedete sich, denn sie hatte nun einen scharfen Blick dafür bekommen, wann die Menschen allein sein wollen. Ich weiß schon, es ist die Liebe, dachte sie, und alles, was man tun konnte, war ein langer, verstehender Frauenblick, der weder fragt noch bemitleidet.

Als an jenem Septemberabend die Offiziere aus den umliegenden Bauernquartieren bei Helhusens eingeladen waren É Da fing es an auf Pahlsbrökers Hof. Einer der Burschen nahm dem Knecht die Ziehharmonika aus der Hand, um Polka zu spielen. Pahlsbröker wußte genau, daß die Pastoren das Tanzen verboten. Es war schon öfters vorgekommen, daß Pastor Spengemann plötzlich in Brennoltes Wirtschaft erschienen war, um ein Mädchen aus seiner Gemeinde vom Tanzboden zu zerren.
Aber Pahlsbröker ging durch die Glastür hinten in die Stube und setzte sich ans Fenster, wo die Bibel auf dem Brett lag. Und wenn jemand hereinkam und ein paar Töne durch den Türspalt mitbrachte, sagte er scheinheilig: »Sümmal, de kann mal propper Choräle spielen!«
Auf der Deele tanzten die Soldaten mit den Mädchen vom Hofe, im rötlich verschwiegenen Licht der Stallaternen. Der heiße Geruch von Stiefelschmiere und eifrigen Drillichjacken drängte sich zwischen die ländlichen Düfte von Rübenblättern und Tieratem.
Luise tanzte mit dem Gefreiten Niederschulte, der ein stattlicher Westfale war und in Metz diente.
Sie tanzte mit ihm noch spät, als sie, von der Müdigkeit des arbeitsvollen Tages und von der dichten, stickigen Luft in der Deele überwältigt, nicht mehr bedenken konnte, daß sie ihn niemals heiraten durfte, denn er war kein Bauernsohn, und war katholisch.
Und als sie aus dem großen Tore traten, um ein wenig Luft zu schöpfen, ging sie mit ihm É

Einige Tage nach jener Begegnung mit Luise auf dem Feld saß Anna und versuchte, in ihren Büchern zu lesen, die in letzter Zeit immer schwerer verständlich geworden waren.
Da klopfte es, und Luise Pahlsbröker kam herein. Ganz verstört. Sie blieb an der Tür stehen.
»Luise!« sagte Anna erschrocken und zog sie an der Hand neben sich auf den Diwan. »Was ist mit dir! Bist du krank?«
Luise schüttelte den Kopf und machte einen Anlauf zum Sprechen.
»Pabba hat mich geschlagen«, schluchzte sie, »Pabba hat mich vom Hofe gejagt - aber er hat es zugegeben, daß wir tanzten«, fügte sie in anklagendem Zorne hinzu.
Und sie sagte in abgerissenen, schwer verständlichen Sätzen, was geschehen war. Nur als sie von dem Gefreiten Niederschulte sprach, leuchteten ihre Augen auf: »er war sonen schchönen, freundlichen Mensschchen«, sagte sie, »so schchön wie Herr Erich.«
Anna nahm sie fest in den Arm, wie früher, wenn sie in den Strohdiemen zusammen spielten. »Luise, arme Luise! Wie kann ich dir denn helfen?«
»Och, Anna«, bat sie und vergaß, daß sie seit der Pension »Sie« sagte, »wenn du mir nur Õn büschen Geld geben wolltest. Pabba hat mich vom Hofe gejagt. Ich muß nu einen Dienst suchen, bis das Kind kommt, und denn« - sie weinte in die Hände.
»Luise«, sagte Anna, »ich weiß keinen Rat. Aber Mutter weiß. Ich will Mutter fragen.«

L
uise wehrte entsetzt ab. Doch Anna bat so lange, bis sie es schließlich erlaubte. Nur wollte sie erst vom Hofe sein. Und Anna wickelte ihr alles Geld ein, was sie in ihrem Schreibtisch hatte, und sagte, sie sollte übermorgen in der Stadt auf die Post gehen und einen Brief von ihr abholen.

E
s war nur gut, daß Anna jetzt alles mit ihrer Mutter besprechen konnte, denn Frau Sophie war praktisch und wußte immer Rat. Sie setzte sich mit dem Pastor in Verbindung - obgleich er nächsten Sonntag darüber predigen würde und die ganze Gemeinde ausschelten für das Ärgernis, das dieses Mädchen den Engeln Gottes verursachte. Und er würde die Feldmark so genau bezeichnen, daß alle wußten, es war Luise. Aber er würde auch auf den Hof eilen und dem alten Pahlsbröker den Teufel mitbringen, daß er ihm in das zähnefletschende Antlitz sehen mußte. Und das war gut, denn der hatte es verdient É
Anna selbst war in der letzten Zeit hilflos und ohne Tatkraft. Ihre Mutter sah sie oft besorgt an, ob sie krank sei, und schickte sie abends früher hinauf. Wenn sie dann vom Fenster aus den Uhlen zusah, die von der Dun kelheit so unbeirrt den Bäumen zuflogen, da fühlte sie, wie ihr Traurigsein hineingewoben wurde in alles uralte Geschehen von Brakenhorst. Und sie dachte, wenn nur auch sie von der Dunkelheit unbeirrt ihren Weg erkennen könnte, durch alles schmerzende Heimweh hindurch.
Aber manchmal, vor erregten Sturmnächten, wenn die Raubvögel schon unruhig tiefer kreisten, dann drückte sie ihren Kopf an die Wand und weinte - weinte.

D
ann fuhr sie auf an einem bösen, sündigen Neid. Es fiel ihr ein, wie Luisens Augen aufgeleuchtet hatten, als sie von dem »schchönen, freundlichen Mensschchen« erzählte.
Sie mußte ihren Kopf gegen die harte, kalte Mauer drücken É
Und ihre Seele wollte der Einsamkeit nicht standhalten.



Neunzehntes Kapitel

Mit Erich schien es in der letzten Zeit besser geworden zu sein. Hauptmann Helhusen verschob seinen Bart nicht mehr so hoffnungslos, wenn die Rede auf ihn kam, sondern brummte mit seiner angenehmen, tiefen Stimme: »Der verdammte Schlüngel! Wenn er so ankömmt, denn kann man doch beileibe nich so böse mit ihm sein, wie man woll möchte.«
In Italien hatte erÕs wieder jedermann angetan. Und da er ja vermögend genug war, tröstete man sich mit dem beliebten Satz: »Der nötige Ernst wird schon noch kommen.«
Herr Administrator Beimdieke hatte viel seltener Gelegenheit, dem Hauptmann gegenüber sein hartes G fallen zu lassen.

E
rich schrieb eines Tages, er sei jetzt in das Bankwesen genügend eingedrungen und fühle sich fähig, selbst die Verwaltung seines Vermögens zu übernehmen.
Herrn Beimdieke traten angesichts dieses wichtigen Wendepunktes die Tränen in die Augen; in seiner Antwort sprach er von männlicher Reife seitens des jungen Herrn und von bestem Vertrauen seinerseits; und er versicherte, daß er ohne jedes Gekränktsein den ihm zwar liebgewordenen Posten niederlege. (Er vergaß die vielen, unbequemen Gesuche um Schecks, deren Ausbleiben ihn in letzter Zeit so angenehm versöhnt hatte.)
Aber Erich lohnte diese Tränen in den Augen Beimdiekes schlecht. Er legte sein ganzes Vermögen an in einer Bürgschaft für den Rennstall seines älteren bewunderten Freundes Tettow.

U
nd eines Tages kam die Nachricht, daß dies Vermögen in dem unersättlichen Schlund des Konkurses verschwunden sein sollte.
Brakenhorst und Haus Brocke waren wie mit schwarzem Flor ausgeschlagen. Aber es war schlimmer als ein Sterbefall, der immerhin zum Ruhigsein verpflichtet. Jetzt dagegen klirrte es wie von Waffen - ein Kampf gegen alle bösen Mächte, die den Mammon besiegen, - Erich war ihnen anheimgefallen - verloren.
Nur Anna war still und unbeweglich. Ein dumpfes Entsetzen hielt sie fest, und manchmal richtete sie sich auf mit der Versicherung: »Es kann ja gar nicht sein!« Denn sie wußte es immer, auch in den schlimmsten Zeiten, daß er doch immer Erli blieb. Und sie hatte noch jedesmal recht behalten.

D
iese Aufregung hatte sogar etwas Erleichterndes für sie. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 16.02.2006