15.02.2006
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Mehr wollte sie nicht.
Eigentlich war es aber doch merkwürdig, daß sie nicht mehr wollte. Sie dachte manchmal darüber nach, warum sie nur von diesem Abschied träumte und nicht davon, immer bei ihm zu sein. Da blieb ein Zwiespalt.
Die einzige Hoffnung, die ihr den Abschied mit Glyzinen und Bambus und roten Rosen etwas näher rückte, war die moderne Kunstausstellung, deren Plakat beim Portier von Kastens Hotel in Hannover hing, in die man jedoch fast nie kam, weil man soviel Besorgungen hat, wenn man nach Hannover fährt, und alles doch nicht auf der Georgstraße zu haben ist.
Diesmal aber mußte die Mutter es sich gefallen lassen, daß die Wahl des Regenmantels bei Karl Rocholl nicht so genau verübt wurde.
Anna ging in die Ausstellung.
Das erste, was sie von ihm sah, war eine Landschaft am nordischen Meer.
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Die Frauen waren auch von ihm, und die tanzenden Jünglinge.
Anna wollte nach der Landschaft umkehren; aber sie mußte alles sehen.
S
Länger konnte Anna nicht bleiben. Ganz verwirrt von Unbehagen und Heimweh ging sie zum Schluß noch einmal zur Landschaft zurück, um gewiß zu sein, daß auch wirklich der Frühling darauf stand. Dann mußte sie sich eilen, denn ihre Mutter erwartete sie im Hotel.
Ein paar Tage trug Anna die zwiespältigen Eindrücke aus dem Kunstsalon mit sich herum, ohne daran zu rühren. Eines Morgens aber, als sie tatkräftig und ausgeschlafen war, verlangte sie nach Klarheit.
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Ja, es half nichts, diesen Eindruck durch den der Landschaft zu entschuldigen. Was nützte es, wenn Walström noch soviel Schönes wußte vom Frühling, wenn er zu den Menschen gehörte, die keine fromme, ehrfürchtige Seele haben?
Sie erinnerte sich eines Blickes von ihm, vor dem sie damals schnell die Augen geschlossen hatte, um sich nicht stören zu lassen im Ausruhen am Herzen der Erde.
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Tagelang ging sie hoch und aufrecht im sieghaften Gefühl der Überwindung.
Sie begriff gar nicht mehr, wie sie neulich der Eltern Erlaubnis zur ersehnten Arbeit großmütig auf das nächste Frühjahr verschoben hatte.
Frau Sophie war sehr enttäuscht, daß sie nun doch wieder von der Krankenpflege anfing.
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Und sie schrieb - was sie sich längst abgewöhnt hatte - einen viel zu schnellen Brief, wie früher manchmal an Erli, als seine Grundsätze noch zu wünschen übrigließen.
Sie schrieb an Walström von Schuld und Verantwortung, die jener Abend in ihr zurückgelassen. O, wenn sie ihm damals gesagt hätte, was sie jetzt wußte, dann wäre die Atmosphäre des Gartenfestes machtlos an ihnen vorübergestrichen; denn sie glaubte ja nicht mehr, daß Glück solch ein betäubender Rausch sein konnte; es mußte etwas andres geben, etwas Heiliges, wie Wachstum und Förderung. Daß er daran nicht glauben konnte, war ihr Versäumen und daß er eine schlechte Meinung von den Frauen haben würde; denn er mußte nun denken, sie, und mit ihr alle Frauen, wollten dieses ernstlose Glück. Was für sie selbst damals neu und sehr hochschwingend gewesen, das vergaß sie über der Sorge um seine Seele.
Sie adressierte den Brief an die Hannoversche Kunstausstellung und hatte ein freies, selbstsicheres Gefühl von Abschluß, als sie ihn dem Postboten mitgab.
Nach einigen Tagen fing sie an zu überlegen, ob er ihn wohl haben könnte. Und dann, nach einer Woche etwa, fand sie sich immer zufällig im Flur ein, wenn der Postbote die Tageszeitung und manchmal die landwirtschaftliche Presse aus der morschen Tasche zog und den Finger leckte, um die Briefe herauszusuchen. Erst wenn die Glocke an der Haustür bei seinem Fortgehen wieder schellte, sah man, daß es nur Rechnungen waren.
Sie ging wieder hinauf zum Üben. Sie erwartete ja gar keine Antwort. Was sollte er auch schreiben auf den Brief hin? Es war ja der Abschluß.
Eines Morgens, als sie das Überwachen des Postempfangs längst aufgegeben hatte, weil es doch nichts nützte, lag ein Brief für sie da, mit einer feinen geschmackvollen Schrift.
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Und sie las weiter, wie er von sich erzählte, als spräche er zu einem Freunde, von seinem Tun und Arbeiten; wie er ihr nochmal dankte - geschwisterlich - denn so etwa klang es, wenn Erli am nettesten war.
Dieser Brief hatte Anna so beglückt, daß sie weit laufen mußte. Obgleich es noch infolge eines Gewitters heftig regnete, lief sie doch durch die Allee in den Wald und teilte den Bäumen ihre Seligkeit mit, die verständnislos ihre blanken Blätter hängen ließen, weil sie sich jetzt mit der ernsten, feuchten Kühle beschäftigen mußten.
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So war denn Anna müde und empfindlich, als ihre Mutter wieder vom Roten Kreuz anfing. Sie konnte ja nicht wissen, daß ihr nun nichts mehr an der Beschleunigung lag.
Frau Sophie meinte es so gut. Sie sprach von Vater, daß sie wohl die Einsamkeit mit ihm auf sich nehmen wolle und seinen Ärger, denn eigentlich fand er es eine verrückte Idee.
Anna hatte zwar nicht recht zugehört, aber sie fing doch an zu weinen.
Da erschrak die Mutter und sagte betrübt: »Ach, liebes Kind, ich hätte nicht daran rühren sollen, nun hab ich dir weh getan.«
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Frau Sophie nahm ihre Tochter ganz still und fest in den Arm, wie sie es noch nie getan hatte, so, als wäre sie eine ganz junge Frau.
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Artikel vom 15.02.2006