14.02.2006
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In die Laube mit den roten Rosen und an die fein klirrende Bambuswand fanden sie nicht mehr zurück.
Endlich, als Annas Eltern aufbrachen, ging sie auch, ohne sich besonders von ihm zu verabschieden; sie gab ihm in aller Beisein die Hand, fremd - wie jedem Tischherrn auf jeder Gesellschaft.
Der nächste Tag verging in zerstreutem Taumel. Es gab viel zu tun, denn die Koffer mußten gepackt werden.
Anna hatte ihre Sachen im Zimmer ausgebreitet und blieb dazwischen lange stehn, mit zurückgebogenem Kopf und geschlossenen Augen, als stünde sie mitten in der Unendlichkeit und wüßte nicht weiter. Sie setzte sich auf ihren Bettrand und ließ die kleine braune Bernsteinkette durch die Finger gleiten, die sie gestern abend um den Hals getragen hatte, und hob sie auf gegen das Licht, damit Klarheit und Wärme in den Steinen lebendig würde É Da fühlte sie plötzlich nichts mehr von Angst und Schwere; sie fühlte nur noch, daß sie die Herrlichkeit des Lebens geschaut hatte; und eine fromme Glückseligkeit betäubte sie, als gehöre sie zu den Auserwählten É
Um neun Uhr abends kam die Gepäckbeförderung und holte alles auf den Dampfer, der früh am nächsten Morgen fuhr.
Schon des Nachmittags war Erichs Mutter in schmerzhafter Aufregung: ihr Sohn kam nicht. Es war ja immer so, daß er einen warten ließ, unvergleichlich rücksichtslos. Und deshalb wirkten solche Zwischenfälle so anstrengend, weil man sich über all die vielen Male, wo es geradeso war, noch einmal miterzürnen mußte, bis man selbst vor gekränkter Spannung die Zeit verloren hatte.
Anna war sonst immer sehr betroffen von solchen Unarten ihres Vetters. Sie schwebte in Angst wie früher als kleines Mädchen, ob er noch vor dem empfindlichsten Augenblick zurückkehrte, weil es ihr körperlich und seelisch peinlich war, wenn er eine Ohrfeige bekam.
Heute konnte sie sich an dieser Aufregung nicht beteiligen. Es war ihr lieb, daß sie Erich solange nicht sah.
Als ihre Sachen um sieben Uhr bereitstanden, machte sie sich fertig, auszugehen. Sie mußte noch einmal am Hafen sein, wenn die Sonne unterging, - wenn all die vielen Schiffer am Strande stillstehen und, sobald die Sonne fort ist, die Fahne vom Mast einholen - weil es ein heiliger Augenblick ist, wenn die Sonne hinabsinkt, die noch eben, liebend und wohltätig, der Welt zu gehören schien.
Als sie um den Hotelgarten bog, kam Erich. Er tat sehr erstaunt, daß man sich so um ihn bemüht hatte. Es war doch nur das letzte Tennisspiel beim Gouverneur.
Er sah sie an mit einem verschlossenen, unfreundlichen Blick.
»Wer war das eigentlich, mit dem du gestern abend zusammen warst?« fragte er nach einer Pause und bemühte sich, eine gleichgültige Stimme zu machen.
»Ach, ein Maler; Walström heißt er.«
»So.«
»Fandst du ihn nicht nett?« fragte sie.
Er zuckte die Achseln: »Es gibt zehnmal Nettere.«
Da meinte Anna, daß er nun schnell zu seiner Mutter gehen müßte. »Aber ich bitte euch«, wehrte er die Vorwürfe ab, »meinen Koffer? Das mach ich allein!«
Er tat es dann auch - nachdem seine Mutter alles mühsam Erreichbare unter bekümmertem Seufzen hatte einpacken lassen.
Anna stand bei Luigi, dem alten Leuchtturmwärter, wo die Wellen hoch an den Felsen aufspritzten.
Sie schaute darüber hinweg, in die Ferne. Da wurde das Meer weit und unbeirrbar.
Auf hellgoldenen Sänften stieg die Sonne herab.
»Troppo bello« murmelte Luigi neben ihr an der Mauer mit seinem kundigen, zahnlosen Kiefer; »troppo bello«, - »domani? äh!« Er schüttelte Kopf und Hand: »tempo cattivo.«
Seine Worte durchzuckten Anna, als hätte er mehr gesagt als eine Wetterprophezeiung.
Sie ging flüchtend zur Seite.
Jetzt berührte die Sonne den Meeresstrand. Die Schiffer standen schon am Ufer still. Jetzt gleich - jetzt war sie fort. Die Fahnen an den Masten wurden eingeholt. »Adesso, Finito«, bestätigte Luigi.
Und es kam der schauernde fahle Augenblick des Begreifens, daß die Sonne nun fort ist und den Tag mit sich hinabgenommen hat É
Siebzehntes Kapitel
Das Pflaster unter dem Tor dröhnte erfreut, als die Herrschaften wieder einfuhren.
Nun standen sie im Flur und blinzelten ein wenig, als könnten sie in dieser dämmrigen Kühle nichts erkennen, weil sie aus dem hellen, buntflimmrigen Süden kamen.
Die Fenster waren noch verhängt von grauen Nebeln. Der Atem ging mühsam. Trotzdem sagte Frau Sophie: »Es ist doch schön, wieder nach Hause zu kommen.«
Anna ging hinaus in den Park und durch das weiße Mauertor weiter ins Feld. Die Chausseebäume und kleinen Gehölze standen undeutlich in der dichten Luft. Der Dunst des Bodens war scharf und wehtuend für die empfindliche Brust.
A
Aber es war nicht nur der Frühling, den Anna vergebens suchte; es schien auch, als könnte sie ihre Heimat nicht wiederfinden.
E
Daß ich so krank geworden,
Wer hat es denn gemacht,
Kein kühler Hauch von Norden
Und keine Sternennacht É
E
A
Anfangs, da sie suchend über das braune Land ging, hatte sie geglaubt, daß schon ein Blütenstrauß, ein Duftstrom des fernen Frühlings, sie zu trösten vermöchte. Aber je länger, je quälender wurde die Aussicht, in einem kommenden Jahr all die bunte, unbegreifliche Herrlichkeit wiederzusehen und nicht ihn, der sie ihr offenbart hatte.
Das einzige, was Anna von ihm wußte, war, daß er Walström hieß und Bilder malte; und daß man in der weiten Welt, die hinter den heidigen Hügeln liegt, seinen Namen kannte. Welcher der verschiedenen Nationen er angehörte, die beim Karnevalsfest vertreten waren, konnte sie nicht erraten, denn er sprach sehr gut deutsch; nur in der Betonung lag manchmal ein fremder Reiz: die Worte fingen hochstimmig an und sanken mit der letzten Silbe ein wenig hinunter. Sie hatte es noch deutlich im Ohr, wie er immer wieder vor sich hin sagte: »Es ist ja so unglaublich schön!« und wie er ihr weißes, etwas unmodernes Batistkleid bewunderte.
Anna hatte nur noch einen Gedanken: wie sie ihn wohl noch einmal wiedersehen könnte.
Nur einmal noch! Zu einem langen, schönsten Abschied!
W
Artikel vom 14.02.2006