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Sechzehntes KapitelDer Garten war mit fortschwingender Musik gefüllt. In einem großen Zelt auf dem Rasen wurde getanzt. Eine Lorbeerlaube war mit roten Rosengirlanden verhängt, und davor auf einem kleinen, unscheinbaren Schild stand in Buchstaben aus weißen Margeriten:
Vietato fumare Permesso bacciare.
Anna hatte den ersten Walzer mit Erich getanzt; sie waren gut zusammen eingeübt, und er schien sehr zufrieden mit ihr. So sollte es den ganzen Abend sein, dachte Anna; doch Erich war andrer Meinung. Und als er noch neben ihr stand, wurde er plötzlich zerstreut, und Anna fühlte, wie es ihn hinüberzog in die fremde Welt, die ihr verschlossen war. Eine kleine übermütige Ausländerin zog seinen Blick auf sich. Schon war er neben ihr und hatte sie um die Taille gefaßt.
Anna lehnte sich an den Stamm der großen Pinie und sah ihnen nach mit traurigen Blicken. An ihr vorüber wogten orientalische Masken. Das Wehen ihrer weiten Gewänder bewegte die schwüle, südliche Abendluft unter der breiten Pinienkrone. Es war, als tanzte man nicht nur nach der Musik, sondern auch nach dem Auf- und Abwogen des Tazettenduftes, der über den Rasen hinzog.

A
nna mußte manchmal die Augen schließen, weil es so wehe tat, immer dies Fremde, Beunruhigende aus der Ferne zu betrachten. Aber es war, als käme der Tazettenduft und das Wehen der Gewänder immer näher.
Plötzlich stand ein Herr vor ihr in einem langen, lila Samtmantel, den sie bisher nicht bemerkt hatte. Er sah ihr entschlossen in die Augen, daß ihrer beider Blicke sich verfingen, und fragte, ohne auf die Antwort zu warten: »Wollen wir tanzen?«
Und sie hörten erst mit der Musik auf.
»Wie schön, mit Ihnen zu tanzen!« sagte er leise, als wäre es etwas Besonderes. »Ja, schön«, wiederholte sie. Er drehte etwas zu schnell.
Sie rieten über ihr Woher und führten sich irre. Und Anna hielt eine vorübergleitende Rokokodame fest und fragte leise, auf ihn deutend: »Wer ist das?« »Walström«, sagte die schnell. »Sie wissen ja, der Landschafter.« Aber Anna wußte nichts.
Als die Polonaise erklang mit dem Kommando: zu Tisch engagieren, da nahm er sie als ganz selbstverständlich am Arm. Sie redeten miteinander nicht viel mehr und nichts Wichtigeres als mit den andern bei Tisch; nur daß sie sich mit denen nicht anlächelten.

N
ach dem Essen wurde auf der Terrasse Feuerwerk gemacht. Die ganze Gesellschaft kam herzu und staunte. Es war laut von Lachen und Musik. Die Herren blieben stehen und behielten ihre Dame am Arm. Man wollte sehen und drängte etwas dichter. Walström hob Annas Hand, als müsse er sie schützen, bis er sie unauffällig zum Kuß erreichen konnte. Sie ließ es geschehen. Und ließ es wieder geschehen.
Sie sah ihren Vater von weitem neben der Frau des Gouverneurs, wie er ihr mit seinem schmunzelnden Gesicht ganz nahe kam und ihren sehr tiefen Ausschnitt würdigte. Nur gut, daß Mutter nicht in der Nähe war É
Die Feuerräder kreisten unbeachtet vor Steineichen und schwarzem Lorbeer. Als ihr schnelles Verlöschen begann, wandte man sich dem Tanzplatz zu. Das Bedürfnis nach der wohltätigen Bewegung war so allgemein, daß manche, die dem Wirbel nicht gewachsen waren, in die friedlich einladende Laube mit den roten Rosen flüchteten.
Walström nahm Anna und führte sie auch dorthin. Als sie gebückt unter den Rosengirlanden durchschlüpften, gab er ihr plötzlich einen Kuß. Sie wollte böse tun, aber sie konnte nicht. Denn es kam ein unbekanntes Erschrecken über sie und zugleich ein Entzücken, das ihren ganzen Körper stumm und andächtig machte. Das war kein Kuß, wie Erli ihr gab, wenn er nach den Ferien fortreiste; das war wohl das Ferne, Unbekannte. Sie folgte ihm und setzte sich neben ihn auf die Bank, das Gesicht gegen seine Schulter gedrückt. Sie lauschte auf das endlich große Stillwerden inmitten des sehnsüchtigen heimatlosen Getriebes. Und mit geschlossenen Augen erschaute sie die wunderbare Helle vor sich - eine zitternde Lichtflut, die alle Grenzen löst, immer beruhigender schwingend, je mehr sie sich weitet É
Und er küßte sie mit einem langen betäubenden Kuß.
Dann ließ sie den Kopf wieder auf seine Schulter sinken.
»Bist du müde?« fragte er ganz leise. Sie nickte. Und er ließ sie an seiner Schulter ausruhen.

E
s war ihr, als ruhe sie zum erstenmal in ihrem Leben aus von allem Unverstandenen, Bedrückenden. Es war wie das Hinabsinken mit aller Schwere im dunklen Grab, bis dicht an das Herz der Erde É
Er hatte ihr zugesehen, und sie schlug die Augen auf. Und sie lächelten sich an.
Sie waren nicht die einzigen in der magischen Laube. Aus der andern Ecke tönte verhaltenes Kichern, lachendes Wehren und Geschehenlassen. Aber die Rosengirlanden hingen kreuz und quer, daß man nur undeutlich sah. Erich und seine Dame kamen auch herein. Als er Anna sah, hob er den Kopf mit einem unzufriedenen Blick und ging wieder hinaus.
Sie richtete sich mühsam auf und sagte irgend etwas mit zu hoher Stimme, die nicht ihr gehörte. Und plötzlich war die große köstliche Stille verschwunden und die weithin zitternde Lichtflut. Die Tanzmusik näherte sich wieder und das Hin- und Herflirren der bauschenden Kleider. Anna faßte den Arm ihres Herrn, als wollte sie fort. Er aber stand auf und nahm sie zum Tanz. Er hielt sie ganz fest. Da hörte ihr die Musik, die für die andern spielte, wieder auf; nur eine ganz ruhige tieftönende Geige klang für sie und löste ihre Schritte vom Boden, daß sie nichts mehr fühlte als seinen Arm, der sie hielt. Sie konnte kaum noch, denn er drehte etwas zu schnell.
Sie kam lange nicht zur Besinnung; noch als er sie schon an der Wacholderhecke entlang führte, wo die Lampione spärlicher hingen. Unter den Eukalyptusbäumen spielte ein eignes, flimmerndes Zwielicht. Die großen Blätter, die so langgestielt von den Zweigen herabhingen, bewegte der leiseste Windhauch; und rötliche Flecken haschten sich zwischen den großen weißen Blüten. Den Knospen fiel das runde, weißbereifte Mützchen herunter. »Fühlst du den starken Duft«, fragte er, als sie darauf traten. Sie atmete tief, wie erwachend, und hielt seinem Blick stille; und sie lächelten sich an und suchten, wo die meisten Blütendeckel lagen, und freuten sich, wenn unter ihrem Schritt der frische durchdringende Duft aufstieg.
Dann gingen sie weiter durch einen überschwenglich süßen Glyzinengang.
Auf den Bänken saßen verstreute Paare, solche, wie Anna sie nicht leiden konnte; und sie dachte wieder erschrocken an Erichs Blick - und dachte, ob sie nun auch so wäre wie die.
Sie gingen vorüber. An einer Wegkreuzung traten sie aus dem Glyzinengang hinaus auf den Rasen; und dort vor einem Abhang setzten sie sich nieder.
Die Musik blieb in der Ferne - die war ja nicht für sie. Für sie war das feine Klirren im Bambus.

A
nna versuchte ganz vorsichtig den Traumschleier von der Stirn zu schieben; dann blickte sie Walström von der Seite an und sie sah einen Augenblick sein Gesicht, daß es breit war, und daß er einen weichen, unzufriedenen Mund hatte. Und sie sah seine breiten, etwas zu kurzen Hände. Sie duckte sich schnell wieder in seinen Arm, mit dem Gesicht gegen seine Schulter, wo die Stille war und die Lichtflut. Und sie wünschte, daß sie noch lange so schwer und tief an ihm ruhen könnte.
Aber es kamen andre vorbei; und nun mußte sie sich aufrichten.
»Wer war das?« fragte sie erschrocken und dachte, ob es Erli war, und wollte aufstehen.
Er verzog den Mund zu einem schmalen Lächeln und sah vor sich hin.
Die andern gingen vorüber; sie wollte sich nun wieder ausruhen. Aber sie lehnte nur mit dem Kopf an seiner Schulter, ohne hinabzusinken ans Herz der Erde, als hätte er es nicht mehr geöffnet.

E
ine Angst, wie Anna bisher nur im Traum erlebt hatte, kam über sie und machte sie frösteln. Walström bemerkte es höflich und legte ihr den weißen Schal um die Schultern. Es half nicht. »Wenn ich nur nicht weinen muß«, dachte sie, »warum nimmt er mich doch nicht wieder in seinen Arm!« Aber er tat es nicht. Sondern die Angst nahm sie in den Arm, hielt ihr die Hände fest an den Gelenken umklammert, die eben noch weich und beglückt auf ihrem Schoß gelegen hatten. Und sie fühlte den Schal um ihren Hals - so eng, daß sie nicht einmal ein kleines liebes Wort sagen konnte, worauf er den ganzen Abend gewartet hatte.
Als ein andrer Herr kam und sie um einen Tanz bat, blieb sie selbst ganz willenlos stehen. Sie sah zu Walström auf - er hatte noch das gleiche fremde Lächeln. Da nahm sie den Arm des andern und tanzte mit ihm.

E
s war ihr eine große Anstrengung; aber sie hörte nicht auf; weil sie sonst hätte weinen müssen; und auch, um noch einmal da vorüberzukommen, wo Walström stand und sie mit den Augen verfolgte, immer noch einmal - wenn er nun nicht mehr dastünde? Aber er stand noch. Und als die Musik aufhörte, ging sie zu ihm.
Wieder hielt die Angst ihre Augen fest und versagte ihr, den lieben Blick zu ihm aufzutun, der alles gelöst hätte.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 13.02.2006