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Kampf gegen den Krebs:
Christian versetzt Berge

Flensburger Handballer schafft zweimal das Comeback

Von Oliver Kreth
Flensburg/Trond- heim (WB). 9. Oktober 2004. Hinten im Mannschafts-Bus wird gefeiert. Die SG Flensburg-Handewitt hat einen Punkt im Champions-League-Spiel gegen Tatran Presov aus der Slowakei gewonnen. Vorn sitzt Christian Berge mit seinem DVD-Player. Doch er kann nicht abtauchen in seine Märchenwelt, er hat brutale, stechende Schmerzen.

Rechts am Hals fühlt einer der besten Handballer der Bundesliga eine Beule, faustdick ist sie und heiß, er hört, wie sich das Blut in Schüben durch die Schwellung pumpt. Am nächsten Tag bei Mannschaftsarzt Hauke Mommsen taucht erstmals der schlimme Verdacht auf: Krebs.
Drei Wochen später hat der mittlerweile 32-Jährige die bittere Gewissheit. Die Beule stellt sich als malignes Lymphom heraus. Berge: »Lymphdrüsenkrebs - das war ein Schock für mich.« Doch er macht sich selber Mut und kündigt sofort sein Comeback auf dem Handball-Parkett an.
An dem Non-Hodgkin-Lymphom erkranken jährlich 12 000 Menschen - allein in Deutschland. Die Behandlungsformen sind unterschiedlich.
Christian Berge wird bestrahlt, er bekommt Infusionen. Im Umgang mit seiner Krankheit hilft ihm auch die im Sport erlernte und gelebte Disziplin. Nur vier Wochen nach dem Beginn der Behandlung beginnt er mit dem Wiederaufbau-Programm. Aber selbst so einem Weltklassemann fallen nach so einer Behandlung Läufe über 50 Meter schwer. Doch Berge fightet weiter. Gegen Minden gibt er im Januar 2005 sein erstes Comeback, er wirft zwei Tore. Berge ist glücklich, macht noch zwei Spiele. Dann kehrt die Krankheit zurück.
Seinen Lebensmut verliert er dennoch nicht. Auch wenn er morgens manchmal denkt: Scheißtag heute. Schmerztablette einwerfen, wieder hinlegen und schlafen, das wäre eine Erlösung, für ein paar Stunden zumindest. »Verlorene Zeit«, sagt Berge. »Im Bett liegen bringt mich nicht weiter.«
Konsequent fährt er immer wieder an den Teisendammen, einen kleinen See, westlich seiner Heimatstadt Trondheim. Vor zwei Jahren hatte Berge noch zehn Runden um den See geschafft. Heute schafft er nur eine. Für die zwei Kilometer braucht er eine Viertelstunde. Berge sieht aber nicht mehr auf die Uhr beim Joggen.
Beim Laufen denkt er auch viel an die Menschen, die ihn mental unterstützen. Oder die besonderen Gesten seines Vereins und dessen Fans. So wie beim Pokalfinale 2005, als Flensburg gegen Kiel den Pott holt. Berge steht auf dem Spielbogen. SG-Manager Thorsten Storm: »Wir wollten ihm zeigen, dass er dazugehört.« Bei der Ehrung nach dem Spiel reckt Berge den Pott als Erster in die Höhe. Gänsehautstimmung bei den Zuschauern und den Mitspielern. SG-Kapitän Sören Stryger: »Der emotionalste Moment des Turniers.«
Doch nach solchen Momenten gibt es auch immer wieder Rückschläge. Im Kopf immer die Frage: Warum gerade ich? Diese Frage wühlt wohl jeden Krebspatienten auf. Und manchen, der nicht begreifen kann, dass es keine Antwort gibt, macht sie zu einem verbitterten Menschen. Berge scheint diese Frage nicht an sich heranzulassen: »Ich glaube nicht an Schicksal. Ich habe eben dieses eine Mal Pech gehabt.«
Berges Familie ist in Trondheim, er wohnt mit seiner Frau Turid und seinem zehn Wochen alten Sohn Emres in einem gelben Holzhaus am Stadtrand, Eltern, Geschwister und Freunde sind in der Nähe. Berge wird aufgefangen. Sein Verein unterstütz ihn mit dem Verkauf von Armbändern, er organisiert ein Benefizspiel.
Doch sein Glück will er sich auf dem Handballfeld zurückholen. Deshalb trainiert er drei Mal in der Woche trainiert bei Heimdal HK, einem norwegischen Zweitligisten. Anfang Dezember spielt er wieder in der Bundesliga. Gegen Magdeburg bringt ihn Trainer Kent-Harry Anderson 16 Minuten. Sein zweites Comeback. Das tut ihm gut. Genau wie die Einladung des norwegischen Nationaltrainers zur Europa-Meisterschaft in der Schweiz. Doch immer wieder tastet er seinen Körper ab. Gibt's es irgendwo eine neue Beule? Christian fühlt es: Er wird noch lange Berge versetzen müssen.

Artikel vom 28.01.2006