28.01.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Familie braucht flexible Zeiten

Schritte zu einer neuen Arbeitszeitordnung: Susanne Steinnagel bei MSG Salzuflen

Von Bernhard Hertlein
Bad Salzuflen (WB). Noch heute ist es so, dass Mitarbeiter ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie an einem Tag früher nach Hause gehen als gewohnt. Sie fühlen sich gedrängt, dies gegenüber dem Chef zu begründen. »In Wirklichkeit hat mich das gar nicht zu interessieren«, erklärt Andreas Meineke, Geschäftsführer des auf Montage und Service für Rauch- und Wärmeabzugsanlagen (RWA) spezialisierten Bad Salzufler Unternehmens MSG.

Obwohl die Firma heute über eine Arbeitszeitregelung verfügt, die das Ansammeln von bis zu 38 Plus- oder Minusstunden erlaubt, lässt so gut wie niemand sein Konto in den negativen Bereich abrutschen. Offenbar gibt es eine große Scheu, dem Arbeitgeber »etwas zu schulden«.
Das zeigt: Arbeitszeitregelungen sind immer auch mit Gefühlen und Ängsten verbunden. Welche Schwierigkeiten eine Änderung hervorrufen kann, konnte Susanne Steinnagel »zum Glück« nicht ahnen, als sie vor knapp sieben Jahren bei MSG eine Änderung der vorher vollkommen starren Arbeitszeit ins Gespräch brachte. Den Anstoß gab die Familie. Als die Kinder - Susanne Steinnagel ist heute Mutter von fünf Söhnen - in den Kindergarten gingen, war die starre Arbeitszeit von 7.30 bis 15.45 Uhr und freitags nur bis 14.15 Uhr noch nicht so hinderlich. Das änderte sich, als das erste Kind eingeschult wurde. Die Schule erwies sich als weniger flexibel. Steinnagel, die seit 1998 bei MSG zunächst als Chefsekretärin und heute als Personalreferentin arbeitet, stellte fest, dass sie ein ums andere Mal nicht wie andere an Schulaktivitäten teilnehmen konnte.
Ihre Anregung, die Arbeitszeit zu flexibilisieren, wurde zunächst von dem Prokuristen des mehr als 80 Mitarbeiter beschäftigenden Betriebes aufgegriffen. Dessen »Reformvorschlag« fand jedoch ganz und gar nicht ihre Zustimmung. Als sie sich das auch noch zu sagen traute, reagierte der Vorgesetzte verschnupft: »Dann machen sie doch selbst mal einen Vorschlag.«
Mit der Annahme dieser Herausforderung war Susanne Steinnagel erst recht im Geschäft. Es galt, die unterschiedlichen Wünsche der Projektleiter mit denen der Monteure, der Lagerarbeiter und der Kollegen in den Büros und alle mit den Ansprüchen des Chefs und den Erfordernissen der Kundschaft in Einklang zu bringen. RWA garantieren Sicherheit etwa vor Bränden. Da nimmt man ungern Rücksicht auf die Arbeitszeiten des Service-Dienstleisters.
Steinnagel ging das Projekt mutig an, holte sich dabei aber Unterstützung von Außen. Die Industrie- und Handelskammer Lippe zu Detmold bezahlte damals im Rahmen eines Modellversuchs die unendgeltliche Unterstützung durch eine Fachkraft. »Ohne Sabine Prieß wäre die Einführung einer neuen Arbeitszeit-Regelung vielleicht nicht geglückt«, räumt Steinnagel ein.
Auf Vorschlang von Prieß wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet: »Ein anderes Vorgehen hätte bei der Belegschaft den Eindruck erweckt, hier wolle die Geschäftsleitung den Mitarbeitern etwas überstülpen.« So waren die Veränderungen, die am 1. Januar 2000 in Kraft traten, nicht gerade revolutionär. Immerhin: Es gab jetzt neue, leicht flexibilisierte Arbeitszeiten, die sogar auf die unterschiedlichen Bedingungen etwa im Lager oder in der Buchhaltung Rücksicht nahmen. Es wurde unterschieden zwischen Kernarbeitszeiten, in denen jeder anwesend sein musste, und Funktionszeiten, in denen die Abteilungen nur sicherzustellen hatten, dass genügend Ansprechpartner für die inneren und äußeren Kunden zur Verfügung standen. Allerdings waren die Kernarbeitszeiten noch sehr weitgefasst - etwa in der Buchhaltung montags bis donnerstags von 9 bis 15 Uhr und an Freitagen von 8.30 bis 14.30 Uhr. Überstunden mussten schon im darauffolgenden Monat wieder abgebaut werden.
Gerade die letztgenannte Bestimmung widersprach sowohl den Interessen der Firma MSG, die Hochsaisons ebenso wie eher auftragsarme Zeiten kennt, als auch denen der meisten Mitarbeiter.
Erleichtert wurde die Neugestaltung nach Angaben Meinekes dadurch, dass sich die Beschäftigten heute noch mehr als früher als Teil eines Teams verstehen. So kennt die neue Arbeitszeitverordnung nur noch Funktions- und keine Kernarbeitszeiten mehr. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 36 Stunden muss erst in einem Ausgleichszeitraum von neun Monaten erreicht werden. Dazwischen werden Arbeitszeitkonten geführt. Damit nichts aus dem Ruder läuft, gibt es ein Ampelsystem. Liegt das Arbeitszeitplus oder -minus unter zwölf Stunden, befindet sich das System im grünen Bereich. Danach und bis 25 Stunden schaltet sich die Ampel schon mal auf Geld. Die Skala endet bei 36 Unter- oder Überstunden. In der »roten Phase« zwischen 26 und 36 Stunden sind jedoch Mitarbeiter, Vorgesetzte und Geschäftsleitung verpflichtet, die Gründe zu analysieren und individuelle Lösungen für einen Zeitausgleich zu finden.
Die siebenseitige MSG-Arbeitszeitverordnung beinhaltet noch viele Sonderregelungen. Ohne den mutigen Anstoß durch Susanne Steinnagel gälte vermutlich bis heute die einfachere, aber völlig starre Regelung aus dem vergangenen Jahrtausend. Für einen Mittelständler ist die gefundene Lösung supermodern. »Die Mitarbeiter sind stolz darauf und fühlen sich motiviert«, sagt Meineke.

Artikel vom 28.01.2006