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Kranker Räuber in Psychiatrie

Zielke: Dilettantischer Täter ist eine »tickende Zeitbombe«

Bielefeld (uko). Nur bei oberflächlicher Betrachtung ist Ali B. (Name geändert) der dümmste Räuber Deutschlands: Ohne Maske, nur mit einer Hand vor dem Gesicht, verübte er einen Raub, und eine Geisel versagte ihm die »Gefolgschaft«. Gestern verurteilte ein Jugendschöffengericht den 20-Jährigen zu fünfeinhalb Jahren Strafe und ordnete seine Unterbringung in der Psychiatrie an.

Diese Taten sorgten in Hagen, Gevelsberg, Wuppertal und Dortmund für Gelächter und schieres Entsetzen: Am 2. März 2005 spazierte Ali B. mit einer Gaspistole bewaffnet in Hagen in eine Lottoannahmestelle und verlangte Geld. Als der Mann bemerkte, daß er nicht maskiert war, spreizte er die linke Hand vor dem Gesicht. Eine Angestellte händigte ihm 970 Euro Bargeld sowie einen Scheck in Höhe von 104 Euro aus. Seine Frage nach mehr Geld konterte die Frau: »Wir sind doch keine Bank.«
Während der folgenden Flucht hatte Ali B. nichts Besseres zu tun, als in einer S-Bahn eine Geisel zu nehmen. Sein Pech: Die erste Person, eine junge Frau wollte keine Geisel sein. Einen Mann verschonte der Türke, weil ihm diese Person »zu alt« war. Ali B. verließ die S-Bahn schließlich mit einer anderen Frau und hielt die ihm folgenden Polizeibeamten in Schach. Zum Abschied gab er dieser Frau gar noch die Beute aus der Lottoannahmestelle.
An einem Möbelhaus in der Nähe zwang er einen Autofahrer unter Vorhaltung der Gaswaffe in dessen Auto, dann forderte er Geld. Der Mann mußte auf Geheiß des Türken zu einem Geldautomaten fahren. Dort hob das Opfer 500 Euro ab, die er dem Kidnapper gab. Nachdem er sein Opfer freigelassen hatte, charterte Ali B. ein Taxi nach Schwelm, nahm dort die S-Bahn nach Wuppertal und dort ein weiteres Taxi nach Dortmund. Hier wurde er auf dem Hauptbahnhof von Polizisten erkannt und festgenommen.
Nicht zuletzt die desolate Kindheit und Jugend sahen der Sachverständige Dr. Martin Reker und alle Prozeßbeteiligten als Ursache der keimenden psychotischen Erkrankung des Angeklagten. Für seine Aufsässigkeiten erntete Ali B. von seinem Vater und anderen Mitgliedern seiner jesidischen Familie nur Schläge. Es folgten Aufenthalte in Heimen und Erziehungsanstalten, die ihn auch ins Bergische Land führten.
Infolge dieser Erkrankung sei Ali B. nur vermindert schuldfähig gewesen. Trotz des dilettantischen Verhaltens, trotz des Geständnisses wertete Staatsanwalt Christoph Zielke das Vorgehen nicht uneingeschränkt herab: »Er ist eine tickende Zeitbombe, vor der die Allgemeinheit geschützt werden muß. Dies waren Taten mit Ansage . . .« Zielke meinte damit auch die massiven Vorbelastungen des Türken, der im Jahr 2001 eine Bielefelder Taxifahrerin mit einem Butterflymesser überfallen und dafür vom Amtsgericht Bielefeld nur mit einer milden Jugendstrafe von eineinhalb Jahren zur Bewährung bestraft worden war.
Das Amtsgericht Hagen setzte 2004 noch einen drauf: Weil Ali B. dort drei Personen mit einer scharfen Waffe bedroht hatte, verurteilte ein Gericht ihn dort zu einer laschen Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten, in die das Bielefelder Urteil obendrein einbezogen worden war. Auch die Verbüßung dieser Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Deshalb hielten Zielke und das Gericht jetzt fünfeinhalb Jahre Jugendstrafe für die mindeste Bestrafung. Zudem wurde der Türke zur Therapierung seiner Krankheit in der Psychiatrie untergebracht.

Artikel vom 20.01.2006