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Drei Schicksale
begleiten die
aktuelle Schau

Neue Ausstellung am Wannsee

Von Kirsten Baukhage
Berlin(dpa). Eigentlich ist das Grauen des organisierten Völkermords an den Juden in Europa unbegreifbar. Die Gedenkstätte »Haus der Wannsee-Konferenz« in Berlin unternimmt mit ihrer neuen Dauerausstellung den Versuch, die Hintergründe und Motive der beteiligten Institutionen und Personen transparenter zu machen.

Das sagte der Leiter Norbert Kampe. 14 Jahre nach Eröffnung der ersten zentralen Gedenkstätte in Deutschland zu diesem Thema sei es außerdem notwendig, die neuesten Forschungsergebnisse nach Öffnung der osteuropäischen Archive zu berücksichtigen. Die Ausstellung wird heute eröffnet.
In der 1914/1915 errichteten Villa am Wannsee beschlossen hochrangige Vertreter der NS-Machthaber, des SS- und Polizeiapparats und der Ministerialbürokratie am 20. Januar 1942 die systematische Ausrottung der europäischen Juden. Die Teilnehmer der »Wannsee-Konferenz« besprachen die technischen und organisatorischen Einzelheiten der Deportation und industriellen Massentötung der Juden. Bis 1945 wurden etwa sechs Millionen Juden ermordet.
Zudem sollen in die neue Dauerausstellung die Erfahrungen der pädagogischen Arbeit in der Gedenk- und Bildungsstätte einfließen, betonte Kampe. Etwa 800000 Besucher schauten sich seit 1992 die erste Ausstellung an. 60 Prozent waren Teilnehmer an den Seminaren, 40 Prozent stammten aus dem Ausland. Die neue Ausstellung versuche, die Interessen und Fragestellungen der Besucher zu berücksichtigen, erläuterte der pädagogische Leiter Wolf Kaiser. So setze die thematische Aufbereitung nicht mehr erst 1933 ein. In zwei der insgesamt 15 Räume werden die Gründe für aufkommenden Rassismus und Judenfeindschaft im 19. Jahrhundert und Integration wie Antisemitismus in der Weimarer Republik vermittelt.
So gab bereits vor der Machtergreifung der Nazis unter Adolf Hitler 1933 die völkisch-nationalistische Propaganda, »jüdisch- bolschewistischen Revolutionären« und angeblichen Kriegsgewinnlern die Schuld am Zusammenbruch des Kaiserreichs zu geben. Auch der systematischen Ausgrenzung der Juden aus der Gesellschaft nach den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 werde mehr Raum gewidmet. »Das interessiert besonders junge Leute und Schüler sehr«, sagte Wolf Kaiser.
95 Prozent der mehr als 600 Fotos und 150 Dokumente sind neu ausgewählt worden. Erstmals integrierten die Ausstellungsmacher die Dokumentation von vier jüdischen Familienschicksalen - zwei aus Polen, eine aus Frankreich sowie das der Berliner Familie Silberstein. Überlebende Kinder stellten persönliche Dokumente und Fotos zur Verfügung, die sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung ziehen. Völlig überarbeitet wurde auch die Präsentation. Da die Villa komplett unter Denkmalschutz steht, musste die Gedenkstätte nach Abhängung der ersten Ausstellung die Wände und Decken sanieren. Die historische Wandbespannung war beschädigt. Die Kosten für die Erneuerung von 100000 Euro werden nicht vom Etat für die neue Ausstellung (605000 Euro) gedeckt. Die Kosten tragen Bund und Land Berlin je zur Hälfte.

Artikel vom 19.01.2006