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»Ich bin ein Glücksritter«

TSG-Trainer Jörg »Chuck« Harke im Herzen immer noch Spieler

Von Jörg Manthey
Bielefeld (WB). »Schöner Tag!« Jörg Harkes übliche Begrüßungsformel entlockt manchem seiner Schützlinge immer noch ein Grienen. Dabei ist dieser schöne Tag nicht einfach so dahergefloskelt, sondern eine Lebenseinstellung. Der Trainer des Handball-Oberligisten TSG Altenhagen-Heepen ist nun mal ein offener Typ und gibt immer wieder wirklich jedem Tag die Chance, ein solcher zu werden. Der 49-Jährige aus dem lippischen Bad Meinberg ist durch und durch ein positiv denkender Mensch. Und weil er diese Haltung kompromisslos vorlebt, wirkt Harke absolut authentisch.

»Ich bin ein kleiner Glücksritter«, schmunzelt der selbständige Kaufmann und fügt nachdenklich an: »Ich habe in meinem Leben wirklich viel Glück gehabt«. Fortune, dass anziehend scheint. Zweifellos taten die TSG-Verantwortlichen rückblickend einen guten Griff, als sie nach dem Abstieg aus der Regionalliga nach einem passenden Holtmann-Nachfolger suchten und den früheren Bundesligaspieler des TBV Lemgo aus dem Hut zauberten.
Dass der bis dato nur auf dem Dorfe unterklassig trainiert hatte, entpuppt sich heuer nicht als fehlendes Qualitätssiegel. Harkes Erfahrungsschatz von acht Jahren Bundesliga scheint ein nie versiegender Quell an Kreativität. »Ich weiß die Jungs schon eine Weile bei Laune zu halten. Ich mache viele Sachen, die mir früher als Spieler auch Spaß gemacht haben. Beschwerden, dass es monoton zugegangen sei, habe ich jedenfalls noch nicht gehört«. Ein Renner bei den Übungseinheiten sei »mit wachsener Begeisterung« eine Art Biathlonwettbewerb.
Der frühere Torschützenkönig der 2. Bundesliga gibt unumwunden zu: »Im Herzen bin ich immer noch Spieler«. Das Warmmachen würde ihm mitunter mehr reizen, als taktische Winkelzüge auszubaldowern, verrät Harke. Seine schlimmste Stunde musste er kurz vor Weihnachten verdauen, als die tolle TSG-Serie (»Wir waren gepusht. Es ging ja immer nur bergauf«) ausgerechnet an seiner früheren Wirkungsstätte im Lemgoer Heldmannskamp riss. »Danach konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen«, nahm er - gepeinigt von Selbstvorwürfen - den 34:37-Rückschlag auf seine Kappe. »Ich hätte da trotz grippekranker Spieler auf eine 5:1-Deckung wechseln müssen«.
Jörg Harke ist ein Zetteltyp. »Ich habe Zettel ohne Ende«. Entsprechend sehen seine drei Schreibtische im elterlichen Haus aus. Aller Struktur zum Trotz gibt er »Bauchentscheidungen« zu gerne den Vorrang. Im kaufmännischen Metier kann sowas ab und an zu Schwejk'schen Grotesken führen. Wen's interessiert, dem erzählt er bestimmt die Geschichte von den 2 000 Dachziegeln. Oder wie er nach exotischen Tauschgeschäften einen Koffer voller ausgelatschter Turnschuhe in einen Koffer voller Specksteinfiguren mutieren ließ. Nicht zu vergessen die Anekdote, wie er am Maledivenstrand aus Sand eine Rennbahn für Einsiedlerkrebse baute und dann Rennen veranstaltete; pro Tierchen ein Dollar Einsatz. »Da lachen wir heute noch drüber«. Ganz zu schweigen von der TBV-Mannschaftsfahrt nach Rio...
Jörg Harke ist gerne mit jungen Leuten zusammen und hat sein Ohr dicht an seiner »echt netten« Mannschaft. »So kriege ich ein Gespür, was bei dieser Generation gerade so in ist, und kann gleichzeitig ein bisschen von meiner Lebenserfahrung weitergeben«. Und wenn der mit Entertainer-Qualitäten ausgestattete TSG-Coach erstmal ins Reden kommt, dann sprudelt es nur so aus ihm heraus. Dann blitzen die Augen, und der Oberlippenschnäuzer wackelt fröhlich hin und her.
Das entscheidende Gespräch mit der TSG-Chefetage im Sommer 2005 hat zwar nur eine halbe Stunde gedauert. Doch wer sich mit Harke - oder besser »Chuck« - auf einen Kaffee trifft, sollte möglichst genügend Zeit mitbringen. »Lajos Mocsai hatte mich Chuck getauft«, klärt der Lipper auf. »Damals gab's mit Jörg Krewinkel beim TBV noch einen Jörg«. Die TSG-Spieler haben diese Story ihres Coaches witzig weiterverarbeitet. Sie begrüßen Gegner und Schiedsrichter seither mit einem lauten »Chuck Norris«.
Vierter nach der Hinrunde. Gerade mal ein Pünktchen trennt die TSG Altenhagen-Heepen von Position zwei. »Jetzt wollen wir auch bis zum Ende oben mitschwimmen«, gibt Harke als Zielsetzung aus. Das Wort Aufstieg quält sich nur schwer über seine Lippen. »Die Regionalliga käme zu früh. Für Mannschaft und Umfeld«, findet er. »Wir müssen hier augenscheinlich erst noch einigen Kredit zurückgewinnen. Bei Zuschauern und Sponsoren ist eine gewisse Zurückhaltung spürbar«.
Bei seinem ersten Engagement in Bielefeld (1993-1996) schaffte er übrigens das Meisterstück, stieg mit dem SCB 04/26 unter Trainer Hartmut »Max« Rittersberger in die dritte Liga auf. »Da habe ich als 40-Jähriger in der 5:1-Deckung vorne gestanden«, kokettiert Harke Augen zwinkernd mit seiner physischen Fitness, die ihn grundsätzlich immer noch auszeichnet. Von der »längeren Regenerationszeit« mal abgesehen. »Nach einer Fußballeinheit brauche ich einen halben Tag, um motorisch wieder ganz auf der Höhe zu sein«.
Eine Vielzahl humoriger Beiträge wird fraglos den 24. Juni garnieren, wenn Jörg Harke in der Burgscheune Horn seinen 50. Geburtstag als »Riesensause« zele-brieren wird. Es ist nicht zu überhören: Da ist ein Mann so richtig zufrieden mit seinem Leben. »Monoton ist für mich ein Fremdwort. Kürzer treten kann ich irgendwann immer noch«.

Artikel vom 19.01.2006