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Doch all diese nahen Mitteilungen, durch die er sie ehrte, hatten auch noch andere als beglückende Wirkung. Denn sie stammten aus jener Welt, die Anna verschlossen war. Eigentlich wollte sie mit dieser Welt ja nichts zu tun haben; aber wenn Erich so entzückt von diesen zierlichen Damen erzählte, die Zigaretten rauchten und sich nach der neuesten Mode kleideten, dann überkam sie ein ebenso trauriges Gefühl wie früher als Kind in Gegenwart ihrer Freundinnen - weil sie nie so schön und so klug werden konnte wie Käte und Milchen.

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s war wieder auf einem Spaziergang. Erich hatte schon den ganzen Zypressenweg hinauf über das Problem der Ehe geredet, während er mandelgespickte Feigen aus der Tasche zog und Anna reichte. »Mich ärgertÕs immer so, daß Christus als Schöpfer der Ehe hingestellt wird«, sagte er und prüfte genau, ob die kirchlich verordnete Reinheit sich vertrüge mit den Forderungen des natürlichen Lebens.
Und als sie auf der schattenlosen Bergwiese angekommen waren, meinte er plötzlich: »Du, Anna, es ist mir lieb, daß du nun nicht mehr besser von mir denkst, als ich bin.«
Anna sah ihn erstaunt an, denn sie hatte gar nicht weniger gut von ihm gedacht, während er eben diese allgemeinen Dinge redete.

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rich machte ein sehr erleichtertes Gesicht, weil er ihr das gesagt hatte, als wäre es nun nicht mehr so schlimm. Und bis sie nach Haus kamen, wußte Anna doch ungefähr, was er meinte; sie gab ihm sehr fest die Hand und sah ihn ernst und liebevoll dabei an, aus einem unbestimmten und doch sicheren Frauengefühl: daß man jetzt sehr gut und zart mit ihm sein müßte. »Sagen kann ich ja nichts«, dachte sie, »denn ich verstehe nichts davon, aber ich habe ein gutes Vertrauen zu ihm; das soll ihm helfen.«

Helhusens lebten sehr zurückgezogen während ihres Aufenthaltes in Italien. Erichs Mutter war auch mit; und wenn man nicht spazierenging, saß man auf ihrer geräumigen Veranda, wo ihr Liegestuhl hinter Efeugeranien und Kapuzinern seinen Platz hatte. Nur bei des Hauptmanns Jugendfreund, dem Gouverneur, machte man Besuch; und jedes Jahr fand ein großes Fest statt in seiner Villa oberhalb der Bucht.

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nna konnte Gesellschaften nicht leiden. Die Art der Huldigung, die ihr als Dame entgegengebracht wurde, beleidigte sie; und sie antwortete darauf mit irgendeinem kurzen, unliebenswürdigen Satz; deshalb sagte man, sie wäre hochmütig. Am meisten ärgerte sie sich über die Damen; die waren schuld an diesen Huldigungen. Sie fand sie nicht besser als die Geschöpfe, die von diesen Frauen so verachtet und bekämpft werden; mit jedem Blick werben sie um die Anerkennung jedes Herrn, auch die älteren, die erwachsene Töchter bei sich haben und es besser wissen könnten.
In solchen Gesellschaften verlor auf einmal für Anna Fräulein Mannesmann, die Vorsitzende des Vereins für Fraueninteressen, jedes Unangenehme in der Erinnerung; sie bekannte sich vielmehr mit Genugtuung zu diesen übertüchtigen Frauen und freute sich in dem Gedanken, daß sie im Laufe des Sommers auch ihrer Gemeinschaft angehören würde, wenn sie endlich einen Beruf haben würde.

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as Fest beim Gouverneur war auch immer so, wie Anna es nicht mochte, obgleich es für den Clou aller Geselligkeit galt. Jegliche Nationen fanden sich zusammen in dem gastlichen Hause: Diplomaten, Offiziere und Künstler, und die verschiedenartigen steifen Sitten lösten sich auf in einer internationalen, südlich bunten Heiterkeit.
Diesmal wurden die Gäste gebeten, möglichst im Kostüm zu erscheinen, zum echten, italienischen Karneval.

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ie Einladung kam gerade, als Helhusens beim Frühstück saßen. Und sie erinnerten sich der Erzählungen von einem solchen Kostümfest, das vor Jahren schon einmal beim Gouverneur stattgefunden hatte, als sie noch nicht in den Süden reisten.
»Es muß ja ziemlich toll hergegangen sein«, sagte Frau Sophie und schien wenig erfreut über diese Art der Einladung.
»Na, du lieber Gott, was sollen sie groß angestellt haben«, meinte der Hauptmann schmunzelnd, indem er seinen Zeigefinger mit dem Siegelring an die Zigarre klopfte, daß die Asche auf den Unterteller fiel, »es wird ein bißchen geküßt worden sein - na ja.«
Anna und Erich lachten. Es war so gemütlich, wenn er mal etwas Unerlaubtes sagte und dabei seine Frau von der Seite ansah, als warte er auf Schelte.
Frau Sophie stellte ärgerlich den Aschenbecher hin, sie hatte ihm doch schon wie oft gesagt, daß der Unterteller nicht dazu da sei.

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ber ihre steilgesenkten Augen galten nicht so sehr dem mißbrauchten Unterteller, als seiner Bemerkung. Sie konnte es nicht leiden wenn er diese Art Lustigkeit anschlug. Dann fiel ihr jedesmal ein, wie er sie früher als junge Frau ins Münchener Hofbräuhaus geführt hatte, wie er, ihr stets korrekter, strenggesinnter Mann, plötzlich anfing, mit einer recht zweifelhaften Dame am Nebentisch zu schäkern, so daß sie gar nicht mehr dazu lächeln konnte und sich in einer sehr peinlichen Lage befand.
Nein, diese Einladung machte ihr keine Freude. Schon das allgemeine Du-Sagen verleidete ihr jede Art von Karneval. Aber als sie die Erwägung einer Absage äußerte, sagte der Hauptmann ganz gekränkt: »Ich bitte dich - beim Gouverneur - in dieser exquisiten Gesellschaft!«
Dagegen war nichts einzuwenden. Nur das schlug sie ab, daß ihr Mann, wie er plante, sich als Falstaff verkleidete. Auch Anna und Erich sollten im Gesellschaftsanzug gehen.

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nna freute sich diesmal auf das Fest. Es war der Abschluß einer schönen Zeit mit Erli. Sie dachte es sich beglückend, unter den großen kühlen Gummibäumen zu tanzen, im unwahrscheinlichen Licht der Lampione, eingehüllt in den Duft der Glyzinen. Denn sie tanzte gern mit Erli, und diesmal hatte er auch nichts an ihr auszusetzen, sonst hätte er ihr nicht all seine Erlebnisse erzählt.

(wird fortgesetzt)

Artikel vom 11.02.2006