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Walter dagegen fand ihren Sitz ganz ausgezeichnet und kam nur ab und zu dicht heran, um mit seiner gutbehandschuhten langen Ulanenhand, Trense oder Kandare etwas fester in ihren Fingern zu vereinen, da Loki keinen angeborenen Ehrgeiz hatte auf tadellose Haltung, sondern lieber die Nase in die Luft streckte.
Walters gute Meinung von Annas ausgezeichnetem Sitz und Schneid zu Pferde rückte Erich auf einmal die Kusine in ein ganz anderes Licht. Er beurteilte ihre zu großen, breiten Stiefel bedeutend nachsichtiger, ebenso die reizlosen Hemdenblusen mit steifen Stehkragen, die Walter gut zu gefallen schienen, da er sie auf ländlichen, also feudalen Ursprung zurückführte und nicht wußte, daß sie mit Brigitte und der Frauenemanzipation zusammenhingen.

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ie plauderten schon zusammen wie gute Bekannte, im Walde, wo es schattig war, und sie schwiegen auf der Heide, die als einzige Kühlung für die Pferdefesseln niederes, knackendes Birkengestrüpp hatte.
Da fragte Erich eines Morgens: »Warum sagt ihr eigentlich nicht ,DuÕ? Ich finde es doch putzig, wo du meine Kusine bist, und du mein Vetter.«
Sie lachten beide etwas verlegen und beschäftigten sich mit der Zügelführung; und da jemand etwas sagen mußte, meinte Anna: »Das können wir ja machen.«
Sie gaben sich lachend die Hand, als wäre es ihnen gar nicht peinlich; dann fielen die Pferde in Galopp, weil sie das Stoppelfeld unter sich fühlten, wo sie immer galoppieren durften.

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ie gemeinsamen Ritte blieben gleich vergnügt und angenehm. Aber mit der Zeit, als Anna sich daran gewöhnt hatte, daß Erli wieder lieb und aufmerksam gegen sie war, wie ein jüngerer Bruder, und eher noch mehr; als Walters Erzählungen aus dem Düsseldorfer Kasino an Verschiedenheit zu wünschen übrig ließen und als fast jeden Nachmittag die Jugend aus der Nachbarschaft sich auf einem der Güter zusammenfand, in den Stachelbeeren oder auf dem Tennisplatz und abends zum Tanz, da geschah es, daß sie spät auf ihrer Fensterbank saß und in das dunkle Wasser starrte, als wäre dort zwischen Schilf und Wasserrosenblättern die letzte Spur ihres zukünftigen Schaffens und Strebens versunken. Sie dachte sogar mit Wehmut der Geflügelzucht und Molkerei bei Fräulein Jürgenpott, obgleich es zum Schluß immer so langweilig war, die Zentrifuge zu drehen.

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as einzige, was sie jeder Abhaltung zum Trotz durchsetzte, war das Üben für die Gesangsstunde. Wäre sie nur nicht jedesmal, wenn die Nachbarn zu Besuch kamen, gebeten worden, sich hören zu lassen! Was sie auch singen mochte: eine Arie aus der Zauberflöte oder Händels Rinaldo, die Damen im Sofa sagten: »Das ist Schubert!« und fanden es infolgedessen allerliebst.
Der Gedanke an den Ferienschluß, der Erich und Walter so verstimmte, verursachte Anna eine verschwiegene Beruhigung; dann konnte sie sich entscheiden - entweder doch für die Musik, oder sie konnte sich in ihre Bücher vertiefen und in anderer Richtung ausdenken, wie sie ihr Leben nützlich für die großen Aufgaben der Zeit verwerten könnte.

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on diesen schweren, ungeduldigen Gedanken, die Anna mitten im Parieren der Tennisbälle oder auf der Heide, die zum Reden zu heiß war, überkamen - von diesen zuckenden Gefühlen, die in der Nähe der Tränen sitzen, wenn man müde wird - wußte niemand. Am wenigsten Walter. Denn er fragte, ob sie seine Frau werden wollte.

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nna erschrak, und die zuckenden Gefühle wurden zu Tränen. Sie versuchte ganz vorsichtig, ihm mit ihrer gesenkten Stimme klarzumachen, daß sie nicht zusammenpaßten; sie deutete ihre ganz anderen Aufgaben an, die sie im Leben zu erfüllen hatte - welche, war ihr selber noch nicht recht klar; aber zum Glück fragte Walter auch nicht danach. Doch half das alles nichts; er wußte für jeden Grund zwei andere, warum sie zusammenpaßten.

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chließlich sagte er traurig wie ein Kind - denn er war auch vom Lande, - und mutig wie ein Ulanenoffizier: »Dann hast du mich eben nicht lieb.« Darauf schwieg sie, und sie gingen, jedes mit einem traurigen Herzen, auseinander.
Sie bemühten sich, fröhlich zu scheinen, wenn die andern dabei waren, damit sie nichts merkten.
Zwei Tage vor seiner Abreise mußte Anna jedoch Erli sagen, daß sie noch einmal mit Walter allein reiten wolle, denn darum hatte er sie gebeten, als er sagte: »Ich darf doch weiter so gut Freund mit dir sein wie Erli.«
Anna traf den Vetter gerade beim Fischen am Mühlenteich.
»Leise!« befahl er; »ich will die dicke Schleie kriegen.«
Sie trat vorsichtig auf und setzte sich dicht neben ihn.
»Du, Erli, ich wollte dir sagen« - es ging doch schwerer, als sie dachte, und die Stimme wurde unsicher, da sie auch noch leise sein mußte.
»Weiß ich schon«, half er verständnisvoll nach und beugte sich begierig vor, ob der Wurm noch an der Angel saß.
»Was weißt du?« fragte Anna erstaunt.
»Ach, das mit dir und Walter.« Er konnte gottlob den Wurm noch zappeln sehen.
»Du weißt? Ja, woher denn?«
»Wußte ich früher als du.«
Anna sah ihn befremdet an.
»Ja, neulich, nach dem Essen, als wir in der Wiese lagen, da sprachen wir von dir. Er sagte, es hätte ihm noch kein Mädchen so gut gefallen wie du. In Düsseldorf gäbe es nur gezierte Tanzpuppen; du hättest Schneid. Zum Beispiel Ula Kersenbrok würde nie durch so dichte stachlige Büsche reiten, weil ihr schöner Teint ihr leid täte, und du hättest dem kleinen Braunen seine Gelenke so gut verbunden. Na, und da fragte er mich denn, ob ich dächte, daß du wohl seine Frau werden wolltest.«
»Das hat er dich gefragt? Und was sagtest du?«
»Das glaubte ich nicht.«
Anna stützte ihre Hand auf den Boden und kam ihm sehr nahe: »Warum glaubtest du das denn nicht?«
»Das weiß ich so genau nicht; aber Walter sagte: ÔDu gibst mir wenig Hoffnung.Õ«
Er beachtete nicht mehr, daß seine Angel längst aus der gewünschten Ruhe geriet, denn es war ihm von größter Wichtigkeit, Anna erfahren zu lassen, daß Walter mit ihm zuerst darüber gesprochen hatte É
Und sie ritten am nächsten Tage allein zusammen an ihren Lieblingsplatz, auf eine versteckte Waldwiese, wo sie so oft in der ersten vergnügten Zeit abgestiegen waren und ihren Pferden das Zaumzeug losgeschnallt hatten, damit sie grasen konnten.
Nun stiegen sie auch ab und hielten jeder sein Pferd am langen Zügel.
»Hier wollen wir Abschied voneinander nehmen«, sagte er und faßte ihre Hand. »Anna, wenn es nicht sein kann, dann laß es aber zwischen uns bleiben, wie es in dieser hübschen Zeit war - gib mir zum Zeichen einen Kuß.«(wird fortgesetzt)

Artikel vom 04.02.2006