30.01.2006
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Auf wen hatte sie sich nicht alles gefreut beim Nachhausekommen! Auf den Gärtner, der sie doch halb erzogen hatte, wenn sie früher zwischen seinen Kohlköpfen spielte, während er den Wagen für den Markt einschichtete. Auf Kutscher Heinrich hatte sie sich gefreut und auf Luise Pahlsbröker und Karoline. Aber da war niemand, mit dem sie irgend reden konnte, was ihr jetzt am Herzen lag. All die vielen Fragen, die man allein nicht ausdenken kann, über die Welt und ihren Zweck, und welchen Sinn man seinem Leben wohl geben sollte.
Anna sah noch immer hinunter auf den Teich und die Tannen. Plötzlich ließ sie sich von der Fensterbank herabgleiten und öffnete vorsichtig ihre Tür. Draußen auf dem Gang waren schon alle Lichter gelöscht; nur in den Fensternischen stand der schüchterne Widerschein des hellen Nachthimmels.
Sie durchschritt den Seitenflügel, um nicht am Schlafzimmer der Eltern vorüber zu müssen, bis vor an den Turm, und stieg die viereckige Wendeltreppe abwärts. Das alte Eichenholz knarrte unter ihren langsamen Schritten; aber lauter fauchten die Eulen über ihr im Uhrturm.
U
Anna ging über die gewölbte Lattenbrücke und blieb jenseits des Teiches vor den Weiden stehen, deren ruhelose weiche Wedel der zärtliche Nachtwind liebte. Dahinter fiel ein heller Schein aus den Wolken zwischen den Goldregenblüten in den Teich. Der Mond war nicht zu sehen, aber die Wolken, die über ihm herzogen, ließen hin und wieder sein Licht durchsickern.
Anna setzte sich auf eine der Bänke vor der Mooshütte und horchte auf den feinstimmigen, nächtigen Frühling. Sie atmete wissend den Duft ein von hellen Blüten, der über die Rasen kam, und den kräftigen Geruch des schweren dunklen Bodens.
Da fühlte sie auf einmal wieder, daß sie diesem schweren dunklen Boden angehörte wie all diese ernsten Bäume; sie mußte auch etwas in sich haben von der schlichten Schönheit dieses Landes, die ihre Seele von Kind auf entzückt hatte.
E
Drängenden Schrittes ging sie über den Hof; als hätte sie vergessen, daß es spät in der Nacht sein mußte und daß sie heimlich entschlüpft war.
Vor dem Turm kreuzte der Schein einer Laterne ihren Weg. Sie blieb stehen. Die schweren schlürfenden Holzschuhe kannte sie. Es war der »olle Maak«, der Nachtwächter. »Kümm hie man jümme, Cito!« rief er seinem Hund, der zu kläffen anfing, streckte die Laterne vor und hob den Arm über die Augen.
Anna überkam ein wohliges Behagen bei seinem Anblick - wie früher als Kind, wenn sein Lichtstreifen langsam über Wand und Decke der dunklen Schlafstube zog; dann war ihr, als könnte nun die ganze Welt ruhig einschlummern - wenn er nur wach blieb und ab und zu die Laterne vor sich in die Höhe hielt.
N
»Ach, Maak, wie lange war ich nicht zu Hause! Es ist so schön heute abend.«
»Djau, dat wull ick nich säggen«, hustete er, »aber nu maket sei man buzze na buaben!«
Und er leuchtete ihr bis in die Tür. Dann ging sie langsam die Treppe wieder hinauf und tastete sich durch den finstern Gang.
I
Sie ging schnell zu Bett und lag noch lange wach; denn die Liebe zu ihrer schweren dunklen Heimat, an die sie sich als Kind mit aller sehnsüchtigen Zärtlichkeit geschmiegt hatte, kam wieder über sie - gewachsen und getieft zu einer jungfräulichen Leidenschaft.
Siebtes Kapitel
Anna durchschritt die hohe Deel, wo zu beiden Seiten Ketten rasselten und die Kühe neugierig die Köpfe über ihre Krippen streckten. Pahlsbröker stand heiß von der Arbeit an der Pumpe und schlürfte Wasser aus der hohlen Hand. Mit einem freudigen Schubs schleuderte er die Tropfen von den nassen Fingern, wischte sie an der Hose herunter und begrüßte Anna. Er sah sie erst lange an mit seinen schlauen, halb zugekniffenen Augen; Anna wies auf seine Forke, die er in den frischen Klee geworfen hatte, und sagte: »Ich will euch aber nicht stören, ihr seid bei der Arbeit.«
»Och«, meinte er, »de blievt mi jo, de löpt mi nich wech.« Dann zeigte er auf die lackierten, städtischen Möbel: »Sei kennt dat hier woll balde nich wieder!« und sah sie, ihres Lobes gewärtig, an, als hätte er ihr eine besondere Freude durch diese Neuerung verursacht.
»Wo habt ihr denn die alten, geschnitzten Eichenschränke gelassen?« fragte sie.
Och, die hätten da lange genug gestanden, die wären eingetauscht; »dat is nu doch bedeutend hübscher auf diese Art und Weise«, meinte er. Dann wollte er wissen, ob Anna nun für immer zu Hause bliebe. Luise wäre schon Ostern aus der »Penkschon« wiedergekommen, in einem Jahr hätte sie genug bei Frau Pastor in Bielefeld gelernt.
L
Anna verabschiedete sich enttäuscht; das liebe, vornehme Bauernhaus von früher! Sie ging in Gedanken den gleichen Weg, den sie als Kind immer genommen hatten, wenn sie schon mal bei Pahlsbrökers waren: den Patt an der Waldhecke abwärts durch den Siek; da lag unweit Karolinens Hof.
A
Sie schrak leise zusammen, als Anna eintrat; die Jungens schlüpften aus ihren Holzschuhen und entwischten auf Strümpfen durch die Tür.
Karoline rückte ein wenig an den Stühlen herum, als müßte sie erst eine Beunruhigung forträumen. Dann sah sie Anna forschend an aus ihren tiefliegenden, leidvollen Augen.
Ob sie nicht störe, fragte Anna, sie hätte wohl eben Besuch gehabt.
Artikel vom 30.01.2006