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Ferraris für kleine Geldbeutel
Revell seit 50 Jahren in Deutschland -Êweltweit führender Plastikmodellbauer hat seinen Firmensitz in Bünde
Manche träumen ein Leben lang von einem Ferrari oder einem Porsche, von einer Yacht oder einem eigenen Sportflugzeug. Andere kaufen sich ihre Träume bei Revell. In diesem Jahr feiert der Plastikmodell-Spielzeughersteller aus dem ostwestfälischen Bünde seinen 50. Geburtstag.
Beim Plastikmodellbau lockt aber nicht nur der Besitzerstolz. Diesen könnte man schließlich auch mit einem der maßstabgetreuen Metallmodelle befriedigen, die ebenfalls von Revell entwickelt und vermarktet werden. Der Modellbau jedoch fordert zusätzlich den Bastler. Wie die Pioniere des Automobilbaus in ihrer Werkstatt, so steckt er in seinem Hobbyzimmer den Kopf tief in den Motorraum oder fixiert das Modell mit allerlei Hilfsmitteln, um die kleinen Reifen auf dem Chassis zu montieren. Natürlich ist er ein Perfektionist - und als solcher empfänglich für das Lob von Gleichgesinnten oder seiner Frau.
Und noch etwas: Kein »Titanic«-Fan kennt den Luxusdampfer so genau wie ein Modellbauer. Jedes Teil hat er irgendwann in seinen Händen gehabt. Er weiß den Weg zur Kapitänskajütte und zum Maschinenraum. Er kennt die Stelle, durch die das Wasser nach der Kollision mit dem Eisberg zuerst eingedrungen ist. Er - das sind mehr als zwei Millionen. Mit dieser Auflage ist die Titanic das meistverkaufte Modell von Revell.
Die Idee, aus Kunststoffteilen maßstabgerechte Spielzeugmodelle herzustellen, entstand in den 40er-Jahren im US-Bundesstaat Kalifornien. In Venice bei Los Angeles produzierte Lewis H. Glaser von 1943 an zunächst Zubehör für Puppenstuben, Spielzeug-Waschmaschinen und anderes Plastikspielzeug. Vier Jahre später schickte er das erste Automodell zum Selberbauen in die Spielzeugläden. Angeblich war es ein Porsche. Er war in den USA 1947 das Sensationsspielzeug des Jahres.
Die Welle schwappte schon bald über den großen Teich. Die Taschen noch leer, aber die Köpfe voller Träume: In dieser Lage waren die Tüftler im Wirtschaftswunder-Deutschland wie geschaffen als Modellbau-Kunden. Besonders erfolgreich war ein Großhändler aus Bielefeld. So entschloss sich Revell, in Ostwestfalen 1956 eine eigene Tochterfirma zu gründen. Ein Jahr später zog die Revell Plastics GmbH von Bielefeld in die Nachbarstadt Bünde. Eine ehemalige Zigarrenfabrik bot dort mehr Platz für Lager und Vertrieb der weiter aus den USA importierten Spielwaren.
Im Jahr 1970 wechselte Revell in das neue Industriegebiet Ennigloh. Ein Jahr später fuhr die erste Eigenentwicklung, eine BMW R 75/5 im Maßstab 1:8, vom Band. Bald wurden aus Bünde auch Kunden in allen westeuropäischen Nachbarländern beliefert. Das ist so geblieben, nur dass inzwischen Südamerika, Australien, Afrika, Teile Asiens und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auch Osteuropa hinzugekommen sind. Heute erzielt Revell fast die Hälfte seines Umsatzes von 42 Millionen Euro im Ausland.
Wurden in der Anfangszeit alle Modellbausätze in der typischen blau-gelben Verpackung aus den USA und England importiert, so gaben wirtschaftliche Gründe Ende der 60er-Jahre den Anstoß, vermehrt auch in Bünde zu produzieren. In Deutschland waren die Lohnkosten niedriger. Außerdem umging Revell so die hohen Zoll- und Frachtkosten. Gesamtersparnis: 30 Prozent. Später begründeten die hohen Lohnkosten in Deutschland eine Produktion überwiegend in Fernost.
Entwicklung, Marketing und Vertrieb aber befinden sich weiter in Bünde. Derzeit beschäftigt Revell dort mehr als 160 Mitarbeiter. Längst suchen sie die Vorbilder für die Modellbausätze nicht nur auf der Straße, sondern auch zu Wasser, in der Luft und sogar im Weltall. Im Jahr der Mondlandung 1969 hob auch Revell mit dem Apollo-Saturn-Programm ab.
Für die Modellbauer ist es wichtig, dass die Entwickler engen Kontakt zu den Herstellern unterhalten. In den Konzernzentralen sind die Spielzeugmacher als Werbeträger meistens gern gesehen. Es gibt aber auch Manager, die kurzsichtig nur das Euro-Zeichen und die Chance sehen, ihre Lizenzeinnahmen zu erhöhen. Dann muss Revell, das auch als Weltmarktführer ein mittelständischer Betrieb geblieben ist, höchst genau abwägen, ob sich die Investition lohnt. Umgekehrt führen gute Beziehungen dazu, dass Revell sein Modell schon mal zeitgleich oder - wie beim Airbus 380A -Êsogar zu einem früheren Zeitpunkt als das Original auf den Markt bringen kann.
Erstmals wurden 1995 in einem Jahr mehr als fünf Millionen Modellbau-Sätze verkauft. Dazu kommt ein umfangreiches Zubehör wie Werkzeuge, Klebstoffe und Farben. Pro Jahr präsentiert Revell seinen Kunden etwa 80 bis 100 Neuheiten.
Unter wechselnden Eigentümern hat Revell sein Programm immer wieder in der einen oder anderen Richtung ausgeweitet. Richtungsweisend waren vor allem die Einführung von Metall-Fertigmodellen (Die Cast) und von Airbrush-Produkten. »Slotracing-Cars« werden für den Einsatz auf Carrera-Autorennbahnen entwickelt. Zeitweise transportierten Revell-Lkw auch Matchbox-Modelle. Mit den Produktreihen Crayola (1995-2004), Grand Champions (seit 2002), MagCliks (2004) und Epixx (2005) stießen die Ostwestfalen weit in den Kinder- und vor allem Mädchenbereich vor.
Geradezu sensationell schlug die Eigenentwicklung »Kick-O-Mania« ein - das sind etwa 25 Zentimeter große, originalgetreue und sehr bewegliche Fußballspieler-Figuren. Die Begeisterung für Ballack & Co. dürfte dieses Revell-Spielzeug im WM-Jahr 2006 ganz weit nach vorne tragen.
Gleichwohl bleibt der Plastikmodellbau auch im Jubiläumsjahr die Hauptsäule des Unternehmens. Revell beherrscht die Kunst, sich die Gunst der Verbraucher zu erhalten. Bis zu 350 Fotos werden neben den Plänen des Herstellers eingesetzt, um das Traumobjekt möglichst originalgetreu wiederzugeben. Besonders gut gelang dies Revell im vergangenen Jahr mit dem »Mack Sinalco-Truck«. Die Leserinnen und Leser der übrigens seit 2005 vom Bielefelder Verlag Delius Klasing herausgegebenen führenden Fachzeitschrift »Modell-Fahrzeug« kürten den nostalgischen Lkw zum »Modell des Jahres« in der Kategorie Nutzfahrzeuge. Insgesamt landete Revell kürzlich bei der Preisübergabe sogar drei Mal auf dem obersten Treppchen. Bernhard Hertlein

Artikel vom 28.01.2006