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Sehnsucht
nach Liebe

Neuer Roman von Jirgl


Von Hartmut Horstmann
Bielefeld (WB). Seit die DDR zur historischen Fußnote geworden ist, wartet ein Teil der Literaturwelt auf d e n Roman der Wiedervereinigung. Immer wieder genannt in diesem Mauer- und Mauerfall-Kontext wird der Autor Reinhard Jirgl, dessen aktuelle Publikation den Titel »Abtrünnig« trägt.
Der Schriftsteller, 1953 in Ost-Berlin geboren, hat in der DDR für die Schublade produziert. Und sein neuer Roman wirkt, als wolle er alles Nicht-Veröffentlichte mit einem Schlag nachholen und ausdrücken. Die sprachliche Dichte, zu der der eigenwillige Orthograph fähig ist, ist immens.
Eine ohnmächtige Wut, die im Schreiben ihr Ventil findet, prägt die Erzählung, die aus zwei Strängen besteht. Zusammengeführt werden diese im Berlin des Jahres 2002. Die Sehnsucht nach Liebe treibt zwei Männer in eine Stadt, die kein Zuhause bietet.
»Jedesbuch = 1Buch mehr im Meer der Vergeblichkeiten«: Der Leser muss die Bereitschaft mitbringen, die an Arno Schmidt erinnernde Neigung zur unkonventionellen Schreibweise auf sich wirken zu lassen. Sicherlich: Mit seinen eingeschobenen Exkursen erreicht der Schriftsteller mitunter einen Punkt, an dem der Leser abschaltet. Doch wer weiterliest, wird belohnt. Wie auch Jirgl, der für »Abtrünnig« den mit 20 000 Euro dotierten Bremer Literaturpreis 2006 erhielt.
Reinhard Jirgl: Abtrünnig. Roman aus der nervösen Zeit. Carl Hanser Verlag, München. 544 Seiten. 25,90 Euro.

Artikel vom 18.01.2006