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Zahnärzte schließen ihre Praxen

Protestwelle der Mediziner weitet sich aus - Patienten zeigen Verständnis

Von Ernst-Wilhelm Pape
Bielefeld/Berlin (WB). Der Ärzteprotest weitet sich aus: Auch der Freie Verband deutscher Zahnärzte will seine Mitglieder bundesweit zu Praxisschließungen und Straßendemonstrationen aufrufen.

Das hat gestern Verbandssprecher Wolfgang Straßmeir angekündigt. Bereits heute würden zahlreiche Zahnärzte aus Solidarität am zentralen Protesttag der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten in Berlin teilnehmen. Mehrere 100 Zahnarztpraxen blieben geschlossen. In den nächsten Tagen werde es eine öffentliche Informationskampagne geben, sagte Straßmeir. In vielen Praxen hingen bereits Protestplakate aus und würden Handzettel verteilt. Wichtig sei es, die Patienten über die Gründe der Proteste und Streikmaßnahmen aufzuklären. Der Freie Verband deutscher Zahnärzte vertritt 20 000 der 55 000 niedergelassenen Zahnärzte in Deutschland.
Da bei der nächsten Gesundheitsreform Allgemeinmediziner und Zahnärzte »ohnehin in einen Topf geworfen werden, müssen wir uns auch gemeinsam wehren«, sagte Zahnarzt und Vorstandsmitglied Burkhard Branding aus Detmold. Auch beim Zahnärzte-Tag Westfalen-Lippe, der vom 8. bis 11. März in Gütersloh stattfindet, seien Protestaktionen geplant.
Bei den Protestaktionen gehe es nicht nur um die Forderung nach einer leistungsgerechten Vergütung für ärztliche Arbeit, sondern auch um den Stopp der immer stärker werdenden Bürokratie in den Praxen, die wertvolle Zeit verschlinge, sagte der Sprecher der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. Josef M. Sobek, dieser Zeitung. Staatlich festgelegte Einheitsvergütungen und tiefe Einschnitte in gewachsene Arzt-Patienten-Beziehungen führten zu Praxisschließungen.
Im Vorfeld der heute stattfinden großen Ärzte-Demonstration in Berlin hat der Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands, NAV-Virchow-Bund, gestern eine repräsentative Infratest-Umfrage vorgestellt. Danach äußern 81 Prozent der Deutschen Verständnis für die Anliegen der Ärzteschaft. Ferner lehnen 84 Prozent der Deutschen das Arzneimittel-Spargesetz ab, das heute im Bundestag behandelt wird.
»Es ist uns gelungen, deutlich zu machen, dass die medizinische Versorgung der Bevölkerung auf dem Spiel steht«, sagte NAV-Bundesvorsitzender Dr. Maximilian Zollner in Berlin. Durch die katastrophalen Arbeitsbedingungen wanderten immer mehr Mediziner ab und durch eine planlose Kostendämpfungspolitik werde es immer schwieriger, die Menschen angemessen zu behandeln.
Niedergelassene Ärzte würden bereits ein Drittel ihrer Arbeit ohne Bezahlung erbringen. Die zumeist von den Krankenkassen verursachte Bürokratie blockiere 20 Prozent der Arbeitszeit in den Praxen. Das führe dazu, dass ein Drittel der Praxen vor dem Aus stünden. Der sich abzeichnende Ärztemangel führe in einigen Gebieten bereits zu Versorgungsengpässen.
Mit zahlreichen Protestaktionen würden Ärztinnen und Ärzte in ganz Deutschland in den kommenden Tagen auf ihre immer schlechteren Arbeitsbedingungen auf- merksam machen, sagte gestern der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. Theodor Windhorst aus Bielefeld. Keine andere Berufsgruppe würde tolerieren, dass ihr vom Staat ständig sinkende Realeinkommen aufgezwungen würden, sagte Windhorst.
Kammerpräsident Windhorst bittet Patientinnen und Patienten um Verständnis, wenn sie in den kommenden Tagen nicht auf den gewohnten Service ihrer Arztpraxis treffen sollten. Selbstverständlich stehe flächendeckend ein Dienst für Notfälle zu Verfügung. Windhorst: »Wird hoffen auf die Solidarität der Patienten. Viele haben bereits eingesehen, dass auch sie die Verlierer sind, wenn die ambulante ärztliche Versorgung von der Gesundheitspolitik sehenden Auges vor die Wand gefahren wird.«

Artikel vom 18.01.2006