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Konfuzius (551 - 479 v. Chr.)

»Ein Vornehmer schämt sich,
wenn seine Worte besser sind
als seine Taten.«

Leitartikel
Putins Reden, Putins Tun

Ja, wo ist eigentlich »der Gerd«?


Von Rolf Dressler
Wenn auch noch nicht durch ganz Deutschland, so ist immerhin durch seine politische Führungsmannschaft ein richtiger Ruck gegangen. Besonders anschaulich wird das ganz oben an der Spitze. Denn zwischen An- gela Merkel und ihrem Vorgänger im Kanzleramt liegen Welten. Im persönlichen Selbstverständnis, in der Auffassung von Politikgestaltung, im Auftreten, ob in kleinerem oder großem Kreis, und, nicht zuletzt, in der Art des Umgangs gerade auch mit den jetzigen Koalitionsweggefährten auf Zeit, die gleichwohl politische Konkurrenten sind und bleiben.
Indes lenkt Angela Merkels Besuch bei Wladimir Putin den Blick zurück auf eine gar wundersame Dramaturgie:
- Am 8. September 2005 schlossen Schröder und Putin in Berlin das Abkommen über den Bau der Ostsee-Ferngasleitung, bewusst schnurgerade vorbei an des Kremls ungeliebten osteuropäischen West-Anrainern und früheren Sowjet-Vasallenstaaten.
- Am 18. September wurde Gerhard Schröder abgewählt.
- Und schon anlässlich des Startschusses für die Gas-Pipeline am 9. Dezember verkündete Gazprom-Boss Alexej Miller, dass der Ex-Kanzler für das Konsortium der Energie-Giganten Gazprom, E.ON-Ruhrgas sowie der BASF-Tochter Wintershall als Aufsichtsratsvorsitzender tätig werde.
Solch ein Superposten fällt natürlich nicht vom Himmel. Der Ein- fädler sitzt also hier auf Erden: in der prunkvollen Moskauer Residenz der alten und neuen Zaren.
Und dieser Wladimir Putin dreht mächtige Räder, will Russland zu Weltgeltung zurückführen.
Salbungsvoll versichert er fortwährend, Russland sei auf einem guten Wege in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Doch ungerührt und zielstrebig verstaatlicht er Zug um Zug die Schlüsselindustrien. Nach den Rohstoff- und Energie-Konzernen Yukos und Rosneft folgte Anfang 2005 Volgotanker, Russlands Nummer 1 im Schiffsbau.
In Kürze wird unweigerlich die Automobilindustrie an der Reihe sein. Als deren Chef hat der Präsident Vladimir Artyakow ausersehen; zweiter Mann gleich dahinter soll Sergej Chemezow werden, ein enger Freund Putins schon seit dieser noch als Sowjet-Geheimdienstmann in der DDR diskret nach dem Rechten sah.
Die Wahrheit ist: Abseits von Recht und Gesetz enteignet der ausgebuffte Putin private Unternehmer und Aktionäre, wirft Missliebige sogar in Lagerhaft und spielt die Schlüsselindustrien praktisch gewaltsam, aber fast geräuschlos den sogenannten Siloviki zu. Diese kleine, steinreiche Günstlingsclique beherrscht bereits das gesamte Transportwesen und vor allem Rosoboron Export, den größten Waffenhändler der Welt und Hauptfinanzier von Putins besonders gefürchtetem Inlandsgeheimdienst FSB.
Im Lichte solcher Erkenntnisse mag sich so mancher - selbst als deutscher Nicht-Abnehmer von »Russen-Gas« - durchaus einmal leise fragen: Wo ist eigentlich Gerhard Schröder ...?

Artikel vom 18.01.2006