28.01.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Hunger und Tod im heißen Sudan:
Johan van der Kamp gibt nicht auf

Niederländischer Nothelfer organisiert das Überleben von vielen Flüchtlingen

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Manchmal verlässt selbst einen Johan van der Kamp (43) der Mut. Dann zwingt er sich zum Blick auf eine einzige Zahl: Bis zu 486 000 Flüchtlinge hat er mit seinem Team im Sudan erreicht, das heißt, vor dem sicheren Hungertod bewahrt.

»Eigentlich ist alles nur Logistik«, umschreibt Sudan-Koordinator van der Kamp seine Aufgabe als Leiter des Büros der Deutschen Welthungerhilfe in der Hauptstadt Khartoum. Weit untertrieben: Tatsächlich braucht der Krisenmanager, der seit acht Jahren zwischen Osttimor, Afrika und dem heimischen Eindhoven pendelt, das Können und die Schlitzohrigkeit vom Spit-zendiplomaten bis zum einfachen Trucker.
Innerhalb von zwölf Monaten ist die Zahl der zu versorgenden Flüchtlinge in seiner Verantwortung von 200 000 auf knapp eine halbe Millionen in der Spitze explodiert. Im tausende Wüstenkilometer entfernten Port Sudan am Roten Meer landet das Welternährungsprogramm gewaltige Schiffsladungen Getreide an. Es folgen teure Überlandtransporte. Die letzten 100 Kilometer von bewachten Lagerhäusern bis zu den Bedürftigen in der Krisenprovinz Darfur besorgen die Nothelfer der Welthungerhilfe und anderer Organisationen, unterstützt von Einzelspenden und Regierungsgeldern vor allem auch aus Deutschland.
Jeder Flüchtling bekommt 15 Kilogramm Weizen oder Hirse, 1,5 Kilogramm Bohnen, 0,9 Liter Speiseöl, 50 Gramm Salz und etwas Zucker. Die Monatsrationen sind auf das Gramm genau festgelegt. Vor der Verteilung wird jedes Familienmitglied registriert. Das Familien- Oberhaupt bekommt eine Karte, auf die zwölf Monate des Jahres und die Anzahl der Familienmitglieder vermerkt sind. »Ein seit Jahren erprobtes und weit verbreitetes System, mit dem wir gerecht und sicher den Menschen helfen können, die unsere Nahrungsgüter am dringendsten brauchen«, sagt van der Kamp.
Die Ausgabe der Lebensmittel vor Ort ist immer noch die schönste, vor allem befriedigendste Aufgabe. Wenn lokale Stellen bremsen, ihren Extraanteil fordern oder sonst wie Schwierigkeiten bereiten, bleiben die Profis gelassen. Das gibt es überall auf der Welt, damit wird man fertig. Schlimmer sind die Unerbittlichkeit eines unterschwelligen Krieges, das todbringende Desinteresse der Verwaltung und der Verrat einer Regierung an ihrer eigenen dahinsiechenden Bevölkerung.
Nicht der Staat, nicht die verschiedenen Kriegsparteien und die unbarmherzige Wüste rundum schon gar nicht: Wenn es die Nothelfer, die Entwicklungszusammenarbeit und das Welternährungsprogramm nicht gäbe, niemand würde die 2,5 Millionen Binnenflüchtlinge versorgen. Würde die Nahrungshilfe abreißen, die aus ihren Dörfern Vertriebenen zögen in endlosen Hungerkarawanen durch die öden Steppen, bis sie die Kraft verließe und das Leben im Wüstensand versickerte - wie die Wasserläufe zum Ende der Regenzeit.
Die Frauen, Kinder und Kriegsversehrten in den riesigen Lagern sind der Zentralregierung im fernen Khartoum am Zusammenfluss von Weißem und Blauem Nil ein Dorn im Auge. Aus Sicht der arabischstämmigen Machthaber »sind das die Schwarzen«, sagt Jörg Heinrich im Bonner Hauptquartier der Deutschen Welthungerhilfe. »Die will keiner.« Der schwer wiegende Vorwurf des Völkermordes wird in vielen westlichen Hauptstädten erhoben.
Dazwischen stehen die Nothelfer. Vom Staat allenfalls geduldet, mitunter sogar eingeschüchtert, von Ersatzteilproblemen genervt und von einer irrsinnig brennenden Sonne gequält, gäbe es für Johan van der Kamp und sein 110-köpfiges Team reichlich Gründe, den Mut zu verlieren, vor den Problemen zu kapitulieren.
Manchmal sind es die eigenen Leute, denen der Elan ausgeht. Als etwa die Fahrer behaupteten, mit Anhängern könne man in der Wüste nicht fahren, zeigte Johan, was ein niederländischer Dickschädel in Afrika alles durchsetzen kann. Auf der nächsten Tour ließ er einfach leere Anhänger ziehen. Am Ende setzte er sich selbst an die Spitze eines Konvois, um sich ein Bild zu machen.
Widerstände gibt es bald so viele wie Sandkörner im Sudan, der achtmal so groß wie Deutschland ist. Monat für Monat erschrecken Meldungen von marodierende Reitermilizen, die Dörfer brennen, Frauen schänden und das Vieh verkaufen. Mal politisch, mal einfach nur kriminell. Die Grenzen verwischen. Schon für eine Ziege wird getötet, Waffen sind immer im Spiel.
Die Behörden wissen meist von nichts. »Oft sind wir es, die zuerst erfahren, dass eine Gegend zu unsicher geworden ist«, beklagt van der Kamp die Unzuverlässigkeit lokaler Posten. Da werden Lastwagen gestoppt, reist der Funkkontakt zu Versorgungsfahrzeugen ab oder kleine Machthaber lassen die Muskeln spielen. Dann ist Verhandlungsgeschick gefragt. Mehr als stundenlanges Palavern hilft das Aussparen des betreffenden Gebiets bei der nächsten Lebensmittelverteilung. Leidtragende sind dann wieder die Bedürftigen, aber anders geht es nicht.
Und was tun, wenn die Regierenden spüren, dass sie das Ganze doch etwas angeht? Im Herbst wurden zwei Mitarbeiter von »Ärzte ohne Grenzen«, deren Zentrale ist gleich gegenüber von van der Kamps Büro, festgenommen unter dem Vorwurf der Spionage. Darauf steht im Sudan, der Recht nach der Scharia praktiziert, die Todesstrafe. Die Mediziner hatten Massenvergewaltigungen durch Militärs in Interviews mit mehr als 100 Opfern dokumentiert und die Ergebnisse publik gemacht. Eine Anklage gegen die »Ex-Pats« genannten Europäer wurde schließlich fallengelassen. Dennoch hinterlässt so etwas mindestens so tiefe Spuren wie der gewaltsame Tod eines Mitarbeiters von »Save the Children« im Jahr zuvor.
Kein Friede in Sicht, die eigene Sicherheit immer wieder in Frage gestellt, die Zahl der Flüchtlinge steigend und ein von der Welt längst vergessener Konflikt: Wie hält das einer durch, der Gutes will und Böses erlebt?
»Uns gibt Kraft, dass wir jetzt so viele Menschen erreichen«, erzählte Johan van der Kamp in der vergangenen Woche noch am Satellitentelefon - ohne zu wissen, was diese Woche bevorsteht. Seit zwei Jahren hält der Hochdruck inzwischen an. »Wir gehen längst auf dem Zahnfleisch, aber ein Jahr schaffen wir noch«, steckt sich der Mutmacher das nächste Ziel.

Artikel vom 28.01.2006