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Offensiv und
aggressiv fahren

Team-Manager vermisst Zabel nicht

Von Gunnar Feicht
Cala Serena (WB). Der höchste Saisonetat im Weltradsport (geschätzte 12 Millionen Euro) bedingt den Anspruch, 2006 die Nr. 1 im Pro-Tour-Feld zu sein. Doch die Einschätzung der Erfolgsaussichten des »neuen« Teams T-Mobile ist schwieriger denn je: Dass Moderator Frank Buschmann bei der Mannschaftspräsentation vom »Blick in die Glaskugel« sprach, trifft die Situation am besten.

Den Verlust von Erfolgsgaranten wie Erik Zabel, Alexander Vinokurov und Rolf Aldag sollen zwölf Neuzugänge ausgleichen. Ein arrivierter Siegfahrer für große Eintagesklassiker und hochkarätige Sprintentscheidungen ist nicht darunter. Team-Manager Olaf Ludwig, der zum Jahreswechsel Walter Godefroot abgelöst hat, verspricht dennoch Êeine eindrucksvollere Erfolgsbilanz Êals im Vorjahr: »Ein Sieg Jan Ullrichs bei der Tour de France ist das große Ziel - aber nicht das einzige.«
Olaf Ludwig setzt auf mehrere Spitzen, das Team soll schwerer auszurechnen sein als mit den Chefs Zabel und Vinokurov. Frans van Looy, einer der vier sportlichen Leiter: »Wir wollen aktiver und offensiver agieren, die Entscheidungen nicht mehr auf den Sprint ausrichten und auch bei kleineren Rennen konsequenter um den Sieg kämpfen.« Der bereits 34-jährige Steffen Wesemann hofft endlich auf das Quäntchen Glück bei Paris-Roubaix (»Der Kopf sagt, dass es diesmal klappen müsste«), Neuzugang Kim Kirchen will »schnell die ersten Siege einfahren« und bei den belgischen Radsport-Monumenten glänzen. Favoriten sind dort jedoch andere.
Um an allen Fronten erfolgreich zu sein, hat Olaf Ludwig die Mannschaft hinter der Mannschaft umstrukturiert. Mario KummerÊ ist vom Rennstrategen im Teamauto zum sporttechnischen Direktor aufgestiegen: »In der Vergangenheit waren oft zu viele Aufgaben auf einmal zu bewältigen. Jetzt bleibt mir mehr Zeit für die Konzentration aufs Wesentliche.« Sprich: mehr Einfluss auf Trainingssteuerung, Wettkampfplanung und Koordination der Einsätze des 29-köpfigen Kaders.
Kummers bisherige Aufgabe während der Tour de France geht wieder an Rudy Pevenage über. Jan Ullrichs sportlicher Ziehvater und persönlicher Berater kehrt nach dem Ausscheiden seines Intimfeindes Godefroot auch offiziell in den Kreis der sportlichen Leiter zurück: »Vier Trainingslager und eine gezielte Planung der Renneinsätze - wir denken schon jetzt im Januar an das große Ziel, um das sich alles dreht.« Der Belgier weiß, dass die Jahresbilanz des Teams T-Mobile zu 90 Prozent vom Abschneiden bei der großen Schleife im Juli abhängt. Ganz darauf ausgerichtet ist die Verpflichtung teurerÊ Neuzugänge wie Michael Rogers (dreifacher Zeitfahrweltmeister), ÊSergey Gontchar (Zweiter im Giro 2004) und Patrik Sinkewitz.
Bei der Teampräsentation, zu der T-Mobile eigens die versammelten Fachjournalisten ins Trainingslager auf Mallorca einflog, verbreitete Jan Ullrich Optimismus: »Ich bin hochmotiviert wie alle anderen - es kann losgehen.« Die Abrechnung am Saisonende wird zeigen, ob Olaf Ludwigs Konzept die richtigen Schwerpunkte gesetzt hat.

Artikel vom 16.01.2006