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Angela Merkel

»Beziehungen sind dann am Ende, wenn Sprachlosigkeit herrscht.«

Leitartikel
Merkel bei Bush

Blick durch die Brille der Freundschaft


Von Jürgen Liminski
Für die Amerikaner war es nur eine knappe Antwort wert: Guantanamo ist weiter notwendig. Ähnlich knapp wurde das Thema beim Gespräch zwischen US-Präsident George W. Bush und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel behandelt.
Der Zweck der Guantanamo-Debatte in Deutschland war ja schließlich auch erreicht. Frau Merkels kritische Interview-Äußerung zu dieser Fußnote der Weltgeschichte ließ sie in einem amerika-unabhängigen Licht erscheinen, das selbst die Amerikagegner in der großen Koalition befriedigte. Das ist die Hauptsache: Die Harmonie in der großen Koalition darf nicht gestört werden, schon gar nicht durch außenpolitische Querelen. Das ist Teil der Merkelschen Realpolitik. Insofern war der Guantanamo-Einwurf eine taktische Meisterleistung.
Die Nebensache, die weitere Entspannung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses und die Reparaturarbeiten an der atlantischen Brücke, wurde mit leichter Hand bewältigt.
Auch das Thema Iran wurde nicht zur Tretmine. Der Griff der Mullahs nach der Atombombe könnte über kurz oder lang ein militärisches Eingreifen unumgänglich machen. Falls es soweit kommt, wird die Regierung Bush dafür sorgen, dass eine Intervention auf der Grundlage einer UNO-Resolution geschieht. Hier zögern die Europäer. Sie haben sich zwei Jahre lang von den Mullahs gründlich an der Nase herumführen lassen. Washington erwartet nur, dass sie die Demarche zum Sicherheitsrat der UNO unterstützen. Das kann Europa noch leisten. Und sollte es auch tun, denn Teile Europas, auch Deutschlands, liegen im Radius der iranischen Mittelstreckenraketen. Den Rest wird Israel besorgen (müssen).
Für die Bush-Regierung war mit Blick auf Deutschland wichtig, dass der unsichere Kantonist und Putin-Jünger Gerhard Schröder die politische Bühne verlassen hat - die Bitte um freundliche Grüße an ihn hatte durchaus etwas Eisiges.
Schröder kann sich nun wie Ex-Außenminister Joschka Fischer auf den Rednerbühnen austoben. Beide werden, schon um in Amerika gewichtige Rednermünzen in ihren neuen Hut geworfen zu bekommen, ihren Anti-Amerikanismus zügeln. Bleibend an der Erfahrung der letzten Jahre ist: Man sah Europa inzwischen mehr durch die geopolitische Brille denn durch die rosarote Brille der Freundschaft.
Man rechnet nicht mehr mit Deutschland als einem der innovativen und expansiven Kraftfelder der Zukunft. Hier bleibt in Washington der streifende Blick eher in Asien hängen. Das Quengeln der Deutschen wegen der Klimapolitik wird mit der berechtigten Frage gekontert, warum man dann nicht stärker auf die umweltfreundliche Atomenergie setze. Das Bohren im Völkerrechtsbrett wird mit der Gegenfrage abgeblockt, ob man denn aus den Anschlägen von Madrid und London oder auch aus den Aufständen in den Pariser Banlieus keine Lehren gezogen habe.

Artikel vom 16.01.2006