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Hunger zwingt Kenias Kinder
und Frauen in die Prostitution

Die andere Seite eines Urlaubsparadieses - Dürre und Missmanagement

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Hunger im Urlaubsparadies? Kein Widerspruch: Im ostafrikanischen Kenia beginnt irgendwo hinter dem Traumstrand der Hunger.
An Kenias Hauptverkehrsader kommt es jährlich zu 20 000 HIV-Neuinfektionen. Im dritten Dürrejahr steigt die Zahl der Frauen und Kinder am Straßenrand. In Ostafrika hungern 11 Millionen. Foto: Welthungerhilfe

»Kenia darf kein zweites Niger werden«, warnt Iris Krebber von der Welthungerhilfe. Die Vereinten Nationen haben die ganze Region im Blick und befürchten eine neue Hungersnot für elf Millionen Menschen darüberhinaus in Somalia, Äthiopien und Dschibuti.
In den Wüsten- und Halbwüstenzonen Ostafrikas sind Lebensmittelknappheit und Hunger chronisch, das Missmanagement auch.
Die Regierung in Kenia hat die internationale Gemeinschaft bereits um 150 Millionen Dollar Hungerhilfen gebeten, um 2,5 Millionen Menschen versorgen zu können, das sind zehn Prozent der Bevölkerung.
Nothelfer alarmiert, dass die Armutsprostitution in dem von Aids stark heimgesuchten Land auffällig zunimmt. Wer in diesen Tagen die wichtigste Verbindungsstraße Kenias befährt, sieht was los ist. Die Strecke führt von Mombasa in die Hauptstadt Nairobi und dann weiter bis in das Gebiet der Großen Seen. »Es werden immer mehr Mädchen entlang der Straße, sie sind oft nicht älter als 13«, berichtete Iris Krebber gestern weiter. Sie ist Büroleiterin der Welthungerhilfe in Kenia.
Nach einer Studie aus dem Oktober 2004 kommt es entlang der Straße jährlich zu 10 000 bis 20 000 HIV-Neuinfektionen. »Weil die Vorräte erschöpft sind und die Mütter ihren Kindern nichts mehr zu essen kaufen können, sehen viele keinen anderen Ausweg mehr, als Ýzur Straße zu gehenÜ, wie hier Prostitution umschrieben wird.«
Viele Kinder könnten auch nicht mehr zur Schule gehen, weil die Eltern nicht einmal mehr das Geld für Hefte und Bleistifte, geschweige denn das Schulgeld für die weiterführenden Schulen haben.
Im Südosten Kenias verschärft sich die Lage täglich, weil viele Nomaden mit ihrem Vieh auf der Suche nach Wasser und Weiden dorthin ziehen. »Damit steigt der Druck auf die ortsansässigen Bauern noch weiter«, sagt Krebber. Weil viele Nomaden und Bauern ihr Vieh verkaufen müssen, sind die Preise für Kühe auf fünf Prozent des Normalpreises gefallen. Nomaden und Bauern müssen ihre Kühe für umgerechnet weniger als 4 Euro je Tier verkaufen. Die Viehzüchter der nordöstlichen Provinz Kenias haben schon 30 Prozent ihrer Tiere verloren.
Die Regierung Kenias hätte frühzeitig auf die Warnungen der Hilfsorganisationen und des Welternährungsprogramms hören sollen, meint Ex-Staatssekretär Heribert Scharrenbroich, der heute Vorsitzender von Care Deutschland ist. Seine Organisation verteile sauberes Trinkwasser in der nordöstlichen Provinz, setze Wasserbohrlöcher instand und trainiere die Einwohner, ihre Wasserquellen selbst zu reparieren und zu warten.
Scharrenbroich sagte dem WESTFALEN-BLATT gestern vor seinem Abflug nach Kenia weiter: »Jetzt geht es darum, weitere Menschen vor dem Hungertod und der tödlichen Dezimierung ihrer Herden zu retten.« Danach werde man allerdings dringend eine Diskussion um besseres Regierungshandeln führen müssen.
Die Hungersnot am Horn von Afrika sei auf das nunmehr dritte Dürrejahr in Folge zurückzuführen, sagte Christian Ruck, entwicklungspolitischer Sprecher der Union im Bundestag. Sie hätte aber auch strukturelle und wiederkehrende Ursachen, »die wir langfristig bekämpfen müssen«. Kriegerische Konflikte müssten beigelegt werden und in zerfallenden Staaten wie Somalia fehle es an staatliche Strukturen. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit müsse deshalb die Stärkung des ländlichen Raumes in Entwicklungsländern zu einem Schlüsselsektor einer nachhaltigen Entwicklungspolitik machen und sich an der Ausarbeitung präventiver Krisenpläne beteiligen.

Artikel vom 13.01.2006