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Als Japan Deutschland entdeckte 1873 reiste die halbe Regierung um die ganze Welt und stieß in Washington wie in Berlin auf höfliche Ablehnung»Bunmai kaika«: Die vier Schriftzeichen für »Zivilisation und Aufklärung« prangen über einer Ausstellung mit dem Titel »Japan entdeckt Europa« - richtig in jeder Beziehung. »Europa entdeckt Japan« wäre genauso treffend, so wie die 28 prächtigen Schautafeln selbst. Vier Jahre reiste »Japan entdeckt« durch Europa, jetzt tourt die exakt gleiche Schau durch Japan. Dargestellt wird der Besuch der Iwakura-Mission in Deutschland 1873. Es geht um den historisch vielleicht ersten Versuch eines Landes, den Unbilden der Globalisierung entgegenzutreten. Beinahe die halbe Regierung begab sich seinerzeit auf eine knapp zweijährige Weltreise und führte in zwölf Ländern mit Kaisern, Königen und vielen Mächtigen wie Reichskanzler Otto von Bismarck und Alfred Krupp Verhandlungen.
Unter Leitung des »Staatskanzlers zur Rechten«, Iwakura Tomomi (1825 bis 1883), hatte die 50-köpfige Delegation am Ende fast alle gesprochen, die in Europa und den USA etwas zu sagen hatten: Königin Victoria (London), Präsident Adolphe Thiers (Paris), König Leopold II. (Brüssel), König Wilhelm III. (Den Haag), Kaiser Wilhelm I. (Berlin), Zar Alexander II. (St. Petersburg), König Christian IX. (Kopenhagen), König Oskar II. (Stockholm), König Viktor Emmanuell II. (Rom), Kaiser Franz Joseph I. (Wien) und Präsident Paul Cérésole (Bern).
Aber schon der erste Gesprächspartner, US-Präsident Ulysses Grant, ließ das Kernanliegen der Gäste scheitern. Handelsbedingungen, die für beide Seiten fair waren, sollte es nicht geben. Fast drei Monate Aufenthalt in den USA änderten nichts daran. Auch der Verzicht von Sonderbotschafter Iwakura auf die am Kaiserhof übliche Tracht war ein verzweifeltes, aber nutzloses Opfer. Dabei war man so hoffnungsfroh gestartet.
Ausgangspunkt war die Überzeugung, durch eine hochrangige persönliche Kontaktaufnahme das Ausland vom Fortschritt und der Aufgeschlossenheit Japans für Neuerungen überzeugen zu können. Auch wollte man in absehbarer Zeit weniger diskriminierende Bestimmungen im erwachenden Welthandel erreichen.
In einer Berliner Zeitung las sich das freilich ganz anders: »Das Misslingen der handelspolitischen Verhandlungen erklärt sich zur Genüge daraus, dass die Revision der zwischen Japan und den europäischen Nationen abgeschlossenen Verträge in einem ausschließlich für Japan günstigen Sinne beabsichtigt wurde.«
Knapp 20 Jahre vorher musste der fernöstliche Inselstaat zur Öffnung seiner Häfen für Schiffe und Kaufleute aus dem Westen noch gezwungen werden. Dabei brauchte Japan die Öffnung, um sich von seiner feudalistischen Vergangenheit, dem Shogunat, zu trennen und ein Zentralstaat mit einem Kaiserhaus an der Spitze zu werden.
So wie die Gäste aus Fernost für eine neue Sicht Japans im Westen erfolgreich warben, so vorbelastet war zu jener Zeit auch das Bild der Japaner von Europa und vor allem den USA.
»Schwarze Schiffe und rothaarige Teufel« ist nicht ohne Grund eine der wichtigsten Schautafeln der Ausstellung überschrieben. Das Schiff des amerikanischen Admirals Perry, der 1853 überraschend vor Japan auftauchte, wird in schwarzen Farben mit rothaariger Besatzung auf wilder See und mit bösem Blick in alle Richtungen dargestellt. Überpointiert und plakativ wie in einem Comic-Strip sei die Szene gestaltet, sagt Paul-Gerhard Benkelberg aus Detmold. Er hat die Ausstellung künstlerisch konzipiert.
Das Porträt eines US-Marine-Offiziers aus der Invasionsflotte drückt Furcht und Entsetzen aus: Die lange Nase und die kugeligen Augen wurden überzeichnet. Der für die Fremdländer obligate Bart sollte die vermeintliche Wildheit der ungebetenen Besucher unterstreichen.
Von 2000 bis 2004 war die Ausstellung vom Lippischen Landesmuseum über Hamburg und München bis zum Ostasien-Institut in Leipzig unterwegs. Mit dem damaligen Botschafter Kunisada Kume fand Benkelberg im März 2000 in Detmold einen wichtigen Fürsprecher - nicht ganz zufällig: Kumes Urgroßvater Kunitake Kume war Chronist der Iwakura-Mission. Er entstammte dem Kriegeradel aus dem Fürstentum von Saga, dessen Fürst (Daimyo) Neuerungen gegenüber besonders aufgeschlossen war.
Aus Kume Kunitakes Feder erschien 1878 in Tokio ein »Authentischer Bericht der Reise des Außerordentlichen und Bevollmächtigten Botschafters durch Europa und Amerika«.
Dieses Dokument zählt wie die Ausstellung selbst zu den wichtigen Bindegliedern zwischen Japan und dem Westen. Es kann wechselseitig gelesen werden: als Selbstbespiegelung, aber auch Folie dessen, worauf die eine Seite ihre Sicht der anderen projiziert.
In Japan werde die nur in Teilen übersetzte Wanderausstellung derzeit mit großem Interesse angenommen, berichtet Ausstellungsmacher Benkelberg, der mit einer Japanerin verheiratet ist. Als Maler, Grafiker und Inhaber von »Werbekontor.de« wandelt er schon lange künstlerisch zwischen den nur scheinbar sich so fernen Kulturen.
Hüben wie drüben ist die Ausstellung für manches Aha-Erlebnis gut: Dass »Hänschen Klein« und »Alle Vöglein sind schon da« zum Standard-Repertoire japanischer Kinderlieder zählen, dürfte beide Seiten lächeln lassen. Hier wie da gehören sie gleichsam zum angestammten Kulturgut - aber kaum einer weiß, dass sie neben vielem anderen »ein Kind« der Iwakura-Mission sind.
Reinhard Brockmann

Artikel vom 04.02.2006