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Gehaltskürzung
immer öfter Fall
für die Justiz

Volles Programm beim Arbeitsgericht

Von Jens Heinze
Bielefeld (WB). Ein leichter Rückgang der Verfahren, bei denen der Aufwand aber gewaltig gewachsen ist: Die Bilanz des Arbeitsgerichtes für das vergangene Jahr - üblicherweise ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Situation in der Region - fiel durchwachsen aus. Besserung für 2006 ist wohl nicht in Sicht: Das Gericht muss mit weniger Personal voraussichtlich noch mehr Aufgaben bewältigen.

Die sechs Kammern des Arbeitsgerichtes an der Detmolder Straße sind für die Rechtsprechung in Bielefeld und dem Nachbarkreis Gütersloh zuständig. Sechs Berufsjuristen - jeder von ihnen hatte vergangenes Jahr im Schnitt 767 Verfahren zu bewältigen - werden von 120 ehrenamtlichen Richtern unterstützt.
2005 sind beim hiesigen Arbeitsgericht insgesamt 4216 Verfahren abgeschlossen worden. In knapp zwei Drittel aller Fälle sei es um Kündigungsschutz, in knapp einem Drittel um Gehaltsforderungen oder gestrichenes Urlaubs- sowie Weihnachtsgeld gegangen, berichtete Arbeitsgerichtsdirektor Walter Klingebiel. »Unter dem Strich ein leichter Rückgang von 4,6 Prozent im Vergleich zum Jahr 2004. Weniger Arbeit habe ich dennoch nicht gespürt«, erklärte Klingebiel. Und fügte hinzu: »Dass immer öfter zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern um Gehaltskürzungen sowie gestrichene Sonderleistungen wie Weihnachtsgeld gestritten wird, das spiegelt die wirtschaftliche Lage wider.«
Zudem, so der Jurist, der seit mehr als 23 Jahren das Arbeitsgericht leitet, würden die Verfahren aufwändiger. Zunächst einfache Kündigungsschutzklagen seien nachträglich um Begehren nach Lohn oder Gehalt, Arbeitszeugnissen oder Schadenersatz erweitert worden. Zusätzlich hätten die Insolvenzverfahren zugenommen.
So genannte Krisenbranchen, die das Arbeitsgericht immer wieder beschäftigten, seien vor allem das Bau- und das Baunebengewerbe sowie auf den weiteren Plätzen das Dienstleistungs- und das produzierende Gewerbe. »Sonst wird hier quer durch alle Berufsgruppen gestritten«, stellte Klingebiel fest. Doch der Traum, nach einer erfolgreichen Klage an den alten Arbeitsplatz zurückkehren zu können, sei unrealistisch: »Da liegt die Quote bei unter fünf Prozent.«
Außerdem sei zu beobachten, dass immer öfter gering qualifizierte Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht Klage erheben würden. Klingebiel: »Angelernte Arbeitnehmer werden als erste entlassen. Nur zunehmende Qualifizierung sichert den Arbeitsplatz.«
Zehn Prozent der 2005 geführten Verfahren wurden per Urteil beendet, um die 30 Prozent erledigten sich unter anderem wegen Klagerücknahme. Der große Rest - nämlich 60 Prozent - waren Vergleiche. Davon habe es im vergangenen Dezember eine wahre Flut gegeben, bekräftigte der Arbeitsgerichtsdirektor. Grund: Seit dem 1. Januar 2006 werden Abfindungen besteuert.
So fürchtet Klingebiel für 2006 um eine härtere Gangart der streitenden Parteien: »Der Wegfall der Steuerfreiheit erschwert uns die Arbeit.« Es sei anzunehmen, dass der nun geltende Steuersatz von vornherein auf geforderte Abfindungen aufgeschlagen werde. Was zur Folge haben könnte, dass die Zahl der Vergleiche sinkt, die Summe der streitig geführten und per Urteil beendeten Verfahren im Gegenzug nach oben schnellt.
Wer hofft, im Streitfall vom Arbeitsgericht schnell »bedient« werden, der sollte sich lieber in Geduld üben. Etwa drei Viertel aller Verfahren können innerhalb von sechs Monaten erledigt werden, der Rest dauert noch länger. Das vor der Justiz erzielte Ergebnis ist nicht immer zur Zufriedenheit der Beteiligten: Die Berufungsquote gegen ergangene Urteile liegt bei 55 Prozent.

Artikel vom 12.01.2006