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Erich Kästner

»Es gibt nicht
nur die ewig
Gestrigen, es gibt
auch die ewig
Morgigen.«

Leitartikel
Das frühe Los der Kanzlerin

Nörgler, Stichler, Bauernfänger


Von Rolf Dressler
Der urschwäbische Christdemokrat und Literat Manfred Rommel ist für so manche altersweise Erkenntnis gut. Zum Beispiel für diese hier: »Nachdenkliche Politiker werden dringlicher denn je gebraucht - kaum Bedarf hingegen besteht für solche, die bereits mit einer Meinung aufwarten, noch bevor sie überhaupt eine haben.«
Einer wie Manfred Rommel dürfte daher Gefallen finden an der erfrischend nachdenklichen Angela Merkel, der ersten Frau im hohen Amt einer Bundeskanzlerin überhaupt, an ihrer ausnehmend sachlichen Argumentationsweise, die sich wohltuend unterscheidet von dem eitel-pfauenhaften Gebaren ihres Vorgängers Gerhard Schröder. Denn diese Wende im Stil ist schon für sich genommen in jeder Weise ein Gewinn für Land und Leute.
Zu Recht erntet Angela Merkel dafür Lob, Anerkennung und Respekt auch von teils gänzlich un- erwarteter Seite. Und vieles davon wiederum färbt positiv auf die von ihr geführte große Koalition durch.
Die Quintessenz weithin: Sachdienlich nüchtern, grundsolide und mit ruhiger Hand habe sich die frischgebackene Kanzlerin ans Werk gemacht. Sie regiere schon jetzt so selbstbewusst, dass SPD und CSU daran da und dort durchaus zu leiden hätten.
Ja, namhafte Blätter wie etwa »Die Zeit« und die »Frankfurter Rundschau«, den Unionsparteien traditionell nicht gerade in Liebe zugetan, bescheinigten Angela Merkel unumwunden, sie habe Land und Leuten schon binnen kurzem lange vermissten Zukunftsmut zurückgebracht. Und wenn dann, man beachte, selbst Grünen-Vorfrau Claudia Roth rundheraus urteilt, die Kanzlerin habe »einen guten Einstieg geschafft«, dann muss sich wohl tatsächlich Grundlegendes zum Besseren gedreht haben.
Doch halt, schon tröpfeln aus altgewohnten Richtungen erste Wermutstropfen: Die Regierenden in Schwarz und Rot redeten die Konjunktur fälschlich schön. Offenbar habe man in Berlin kein Vertrauen in die eigenen Kochkünste. Anständige Politik aber entstehe nun einmal nicht durch Würzen und Aromatisieren nach Maggi-Art, stichelt beispielsweise die »Süddeutsche«. Aus ihrer Schrägsicht sind - was vorsätzlicher Unfug ist - die klassischen menschlichen Tugenden wie Fleiß, Ehrlichkeit und Anstand nicht wirklich vorrangig. Genau dazu aber haben erfreulicherweise Angela Merkel und SPD-Chef Matthias Platzeck Land und Leute aufgerufen.
Als unerquickliche Dauer-Nörgler indes führen sich seit Jahren leider auch viele Spitzenvertreter der Wirtschaft auf, unrühmlich an- geführt von Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Sein jüngster Rundschlag: »Was die Politiker der gro- ßen Koalition erzählen, sind doch Ammenmärchen!«
Applaus verdienten die ersten Auftritte Angela Merkels auf außenpolitischem Parkett, meint sichtlich beeindruckt unter anderem das Wochenblatt »Die Zeit«.
Wir sind gespannt auf die Re- aktionen auf den aktuellen Besuch der Kanzlerin bei George W. Bush.

Artikel vom 14.01.2006