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»Hai-Opfer«: Lehrer inszenierte
vor 25 Jahren den eigenen Tod

Hauptkommissar Dieter Scholz spürte Pädagogen auf den Bahamas auf

Von Christian Althoff
Bielefeld (WB). »Von Haien gefressen«: Exakt vor 25 Jahren hat ein Lehrer aus Bielefeld seinen Tod inszeniert, um zwölf Lebensversicherungen zu betrügen. Der Kriminalbeamte, der ihn damals auf den Bahamas aufspürte, ist längst pensioniert. Aber er erinnert sich noch heute an jedes Detail seines spektakulärsten Falls.

Am 13. Januar 1981 feierte das katholische Ursulinen-Gymnasium in Bielefeld einen bewegenden Trauergottesdienst für Studienrat Armin K. (41), einen der beliebtesten Pädagogen der Schule. »Er verlor sein Leben bei einem tragischen Unfall während eines Urlaubs auf den Bahama-Inseln«, hieß es in der Todesanzeige, die das Lehrerkollegium aufgegeben hatte. Niemand ahnte, dass dieses Inserat einen der aufsehenerregendsten Betrugsversuche der Nachkriegsgeschichte auffliegen lassen würde.
Chemie- und Biologielehrer Armin K. war in den Weihnachtsferien 1980 mit seiner Ehefrau auf die Bahamas geflogen. Begleitet wurden sie von Hauptschullehrer Peter S. (32) aus Gütersloh, dem besten Freund des Studienrates. Am 28. Dezember fuhr Armin K. alleine mit einem gemieteten Glasbodenboot aufs Meer hinaus. Das Boot wurde später verlassen auf den Wellen treibend entdeckt, von dem Lehrer fehlte jede Spur. Zwei Tage suchten Rettungsdienste nach dem Vermissten - vergeblich.
»Wahrscheinlich ist Armin über Bord gefallen und von Haien gefressen worden«, erklärte Peter S. nach seiner Rückkehr dem geschockten Lehrerkollegium des Ursulinen-Gymnasiums.
»Damals meldete sich ein Student bei uns, der die Todesanzeige gelesen hatte«, erinnert sich Kriminalhauptkommissar i. R. Dieter Scholz (65) aus Bielefeld. Der junge Mann erzählte von einem Gespräch, dass er Monate zuvor mit Armin K. bei einem Bier geführt hatte. Dabei hatte der Lehrer erzählt, dass ein Studienkollege von ihm vor Jahren auf den Bahamas verschollen sei und er der Ehefrau bei den Verhandlungen mit der Lebensversicherung geholfen habe. »Dass Armin K. nun ebenfalls auf den Bahamas vermisst wurde, hatte den Studenten argwöhnisch gemacht«, erzählt Dieter Scholz.
Beim Amtsgericht Bielefeld erfuhr der Kripo-Beamte, dass Hauptschullehrer Peter S. bereits beantragt hatte, seinen Freund für tot zu erklären. Weiter Nachforschungen ergaben, dass der Studienrat Wochen vor der Reise für 3000 Mark Monatsbeitrag zwölf Lebensversicherungen über insgesamt 4,25 Millionen Mark abgeschlossen hatte - hauptsächlich zugunsten seines Freundes Peter S. »Armin K. hatte sich von einem Bielefelder Versicherungsmakler sogar schriftlich bestätigen lassen, dass die Gesellschaft auch dann zahlt, sollte er auf See verschollen sein«, schmunzelt der Kriminalbeamte.
Nachdem nun ein hinreichender Tatverdacht bestand, ließ die Staatsanwaltschaft Post und Telefon von Peter S. und der »Witwe« überwachen: »Wir wussten ja nicht, ob die Ehefrau eine Komplizin war«, sagt Scholz. Doch die Trauer der Frau war echt, wie sich bald zeigen sollte: »Armin K. hatte Wochen vor der Reise zwei Briefe an seine Geliebte auf den Bahamas geschickt - postlagernd. In jedem steckten 500 Dollar und Anweisungen, ihm ein Appartement zu mieten.« Weil die Geliebte die Briefe nicht beim Postamt abholte, wurden sie zurück an den Absender geschickt - und landeten auf dem Schreibtisch von Dieter Scholz. »Jetzt kannten wir den Namen der Freundin. Das war unsere erste heiße Spur«, erinnert sich der pensionierte Ermittler. Doch es gab kein Rechtshilfeabkommen mit den Bahamas. »Ich schickte ein Fernschreiben nach dem anderen in die Karibik - ohne Erfolg.« Auch BKA und LKA waren keine Hilfe: »Das waren damals aktenführende Behörden, die kaum selbst ermittelten.«
Ein Saunabesuch in Bielefeld brachte den Kripo-Mann schließlich weiter: Im Dampfbad lernte er Ernst Brockmeier aus Lage kennen, der eigentlich auf den Bahamas lebte, dort ein Hotel betrieb und als Honorar-Konsul für die Bundesrepublik tätig war. »Der kannte den Chef der Mordkommission in Nassau und versprach, ein Treffen zu organisieren.« Kripo-Chef Ernst Reker zögerte nicht und genehmigte die weiteste Dienstreise, die Dieter Scholz je angetreten hat. »Ich hatte zwar keine Möglichkeit, den Tatverdächtigen festzunehmen und nach Deutschland zu bringen, aber ich wollte beweisen, dass er lebt und seinen Tod nur inszeniert hatte. Alles andere wäre dann Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden gewesen.«
Eine Woche war Dieter Scholz in Nassau mit dem Chef der dortigen Mordkommission unterwegs, dann kannten sie das Versteck des Studienrates und seiner Geliebten: Ein Appartement in der vornehmen Wohnanlage »Love Beach Club«. Doch 30 Minuten, bevor die Beamten eintrafen, floh das Paar - es musste einen Tip bekommen haben. »Ich bin damals zurückgeflogen. Mein bahamesischer Kollege versprach mir, er werde alles regeln.« Was das hieß, erfuhr Dieter Scholz, als ihn ein paar Tage später in Bielefeld das Telefon aus dem Schlaf riss: »Die Polizei von Nassau hatte den Lehrer gefasst und kurzerhand nach Deutschland abgeschoben - als mittellose, unerwünschte Person. Ganz unbürokratisch, ohne Auslieferungshaftbefehl.«
Die beiden Lehrer, die mit den Millionen aussteigen wollten, seien gute Verlierer gewesen, erinnert sich Dieter Scholz: »Die wussten, dass das Spiel vorbei ist, und haben umfassende Geständnisse abgelegt.« Das Leid, das sie über die Ehefrau von Armin K. und ihre beiden Kinder gebracht hätten, sei ihnen allerdings gleichgültig gewesen. »Ich habe oft Todesnachrichten an Angehörige überbringen müssen«, sagt Dieter Scholz. »Aber ich hätte nie gedacht, dass es noch schwerer sein kann, einer trauernden Witwe zu sagen, dass ihr Mann noch lebt und sie betrogen hat.« Scholz hatte damals seinen deutlich älteren, väterlich wirkenden Kollegen Roland Küchenmeister gebeten, diese Aufgabe zu übernehmen. »Die Frau hat die ersten Sekunden vor Freude gejubelt. Dann wurde ihr plötzlich alles klar, und sie ist weinend vor meinem Kollegen zusammengebrochen«, erinnert sich der Kriminalbeamte. Die Ehe soll später geschieden worden sein.
Armin K. und Peter S., die von den Rechtsanwälten Dr. Holger Rostek und Ralf Diewitz verteidigt wurden, wurden damals wegen versuchten Versicherungsbetruges zu jeweils drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Armin K. (65) lebt heute in Süddeutschland, Peter S. (56) hat sich in Namibia eine neue Existenz aufgebaut.

Artikel vom 14.01.2006