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Häftlinge können sich über TV grüßen

Justizvollzugsanstalt Brackwede I produziert seit vier Jahren ein eigenes Fernsehprogramm

Von Peter Monke (Text und Foto)
Ummeln (WB). Sie nennen sich Jogi, Ossi, Tri und Mo MC. Klingt ein wenig nach den Künstlernamen von Mitgliedern einer Popgruppe. In der Realität verstecken sich dahinter jedoch vier Häftlinge der Justizvollzugsanstalt (JVA) Brackwede I, die gemeinsam das tägliche Programm des hauseigenen Senders »BiBra-TV« auf die Beine stellen.

Seit vier Jahren betreibt die JVA ihr eigenes »Knast-TV«, dessen Konzept zunächst ein wenig aus der Not heraus geboren wurde. »Die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) forderte eines Tages Geld für alle fest in den Zellen montierten Radios«, erinnert sich Heinz Zander, Freizeitkoordinator in der JVA. Für das Brackweder Gefängnis ein nicht zu stemmender Kostenfaktor. »Da blieb uns gar nichts anderes übrig, als von heute auf morgen abzuschalten«. Mit dem Fernsehprogramm konnte die JVA das Gebührenproblem dagegen umgehen, denn: »Empfangsgeräte sind von den Häftlingen selbst anzuschaffen und entsprechend auch zu unterhalten«, so Zander.
Seither ist »BiBra-TV« rund um die Uhr auf Sendung. Morgens und nachmittags läuft Musik, die per Zufallsgenerator aus dem umfangreichen Archiv des Gefängnisses ausgewählt wird. Dazu gibt es ein Bild mit der aktuellen Uhrzeit und einen Laufticker mit wichtigen JVA-Neuigkeiten. Über Videotext sind sogar der aktuelle Sport- und Speiseplan, die Hausordnung oder Ansprechpartner und Adressen von Therapiegruppen abrufbar.
Das eigentliche Programm startet jedoch erst um 18 Uhr. Unangefochtener Favorit vieler JVA-Insassen ist dann die tägliche Grußsendung, in der Häftlinge von Mitgefangenen, aber auch von Angehörigen außerhalb der Mauern gegrüßt werden können. »Jeden Tag erreichen mich etwa 50 neue Grußwünsche«, sagt Zander, der jeden eingehenden Text zunächst einmal auf Herz und Nieren prüfen muss. »Schließlich wollen wir nur nette Grüße über den Sender schicken.« Drohbriefe oder Verabredungen zum Drogenkonsum haben da keine Chance, landen aber auch nur dann häufiger auf Zanders Schreibtisch, »wenn sich die Frauen bei uns im Gefängnis mal wieder untereinander anzicken«.
Alle Grüße, die dem strengen Auge des Freizeitkoordinators standhalten, werden von Jogi, Ossi, Tri und Mo MC anschließend weiterverarbeitet. Über das PC-Programm Powerpoint werden die Texte animiert, mit passenden Bildern hinterlegt und verknüpft mit der gewünschten Musik schließlich sendefertig gemacht. Bei 50 Grüßen pro Tag und einer durchschnittlichen Länge der Musikstücke von etwa vier Minuten, ergeben sich mehr als drei Stunden Sendezeit.
»Unsere Fangemeinde ist ziemlich groß«, sagt Tri, der die Arbeit am Computer schon seit gut zwei Jahre macht. Er vermutet, dass von den 400 Häftlingen der JVA die einen Fernseher haben, täglich etwa 200 bis 250 die Grußsendung anschauen. Insgesamt beherbergt das Brackweder Gefängnis derzeit rund 600 Gefangene. Besonders treue Zuschauer sind die weiblichen Insassen. »Da haben wir einen Einschaltquote von nahezu 100 Prozent. Die loben uns auch schon mal, wenn sie uns treffen«, sagt Tri und lacht zufrieden.
Die Arbeitsplätze des Fernseh-Quartetts gehören zu den begehrtesten der ganzen Anstalt. Kein Wunder, schließlich liegt die Arbeitslosenquote der JVA derzeit bei gut 50 Prozent. Von morgens 7.30 bis nachmittags 16 Uhr erstreckt sich die normale Arbeitszeit. Alles zu einem Tagessatz von 5,80 Euro. Für die vier Programm-Macher ein schöner Verdienst. Immerhin 120 Euro ihrer Einkünfte dürfen sie pro Monat als so genanntes »Hausgeld« zusätzlich für Lebens- und Genussmittel ausgeben, was den Alltag im Gefängnis spürbar erleichtert.
»Vielleicht sind die auf diese Weise vermittelten Computerkenntnisse bei einer späteren Resozialisierung sogar einmal hilfreich«, hofft Zander. Bis es soweit ist, wird aber noch einige Zeit vergehen. »Zum Teil haben meine Schützlinge noch lange Haftstrafen zu verbüßen. Für kleinere Delikte säßen sie ja nicht im geschlossenen Vollzug.«
Dass es sich bei Jogi, Ossi, Tri und Mo MC um »schwere Jungs« handelt, möchte man auf den ersten Blick jedoch kaum glauben. Untereinander pflegen die vier einen recht harmonischen Umgangston. Ihren Spaß an der Arbeit spürt man. Nur manchmal nervt sie, dass aufgrund finanzieller Engpässe das Equipment ihres Studios einen etwas zusammengebastelten Eindruck macht. »Ein eigenes Serversystem wäre toll«, sagt Tri, wohlwissend, dass für solch kostspielige Anschaffungen in naher Zukunft wohl kaum Geld vorhanden sein wird. Für den Anfang reicht deshalb auch schon die Erfüllung eines deutlich bescheideneren Wunsches. »Einige Mitgefangene könnten sich mal von ihrer miserablen Schrift trennen, damit man die Grüße besser entziffern kann.«

Artikel vom 12.01.2006