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Die Milch macht die Bauern schwach

WLF erwarten Rückgang der Betriebe von 6800 auf 4000 in den kommenden zehn Jahren

Von Bernhard Hertlein
Münster (WB). Ganz im Gegensatz zur Werbung (»Milch ist meine Stärke«) leidet die Landwirtschaft weiter unter dem niedrigen Milchpreis. Der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband (WLV) erwartet aus diesem Grund ein großes Höfesterben in den kommenden Jahren.
Trotz der Plakatwerbung mit Katarina Witt und Ralf Bauer: »Unser größtes Sorgenkind ist und bleibt die Milch«, sagte Franz-Josef Möllers, Präsident der westfälisch-lippischen Landwirtschaft. Fotos: CMA

Derzeit leben von den 35 088 landwirtschaftlichen Betrieben in Westfalen-Lippe noch gut 6800 von der Milchwirtschaft. Werner Gehring, Hauptgeschäftsführer des WLV, schätzt, dass diese Zahl in den kommenden zehn Jahren auf höchstens 4000 zurückgehen wird. Der Milchpreis von durchschnittlich noch 27,5 Cent pro Kilogramm sei für die meisten Bauern nicht kostendeckend.
Verbandspräsident Franz-Josef Möllers forderte deshalb jetztÊin Münster dringende Maßnahmen gegen den Preisverfall. Eine mögliche Aktion zur Reduzierung der Überproduktion - die Abschaffung der Molkereisaldierung -Êsei leider am Bundesrat gescheitert. Damit bleibe es dabei, dass die von Hof zu Hof unterschiedlichen Abweichungen von der individuellen Milchquote innerhalb einer Molkerei ausgeglichen (»saldiert«) werden können. Sie werde nur vom 1. April 2006 an für ein Jahr auf zehn Prozent begrenzt.
Bundesweit erzielten die Bauern 2005 Einnahmen aus ihrer Produktion in Höhe von 38,1 Milliarden Euro. 7,9 Milliarden - also etwa ein Fünftel -Êentfiel auf die Milch. Bezug nehmend auf ein nicht veröffentlichtes Gutachten mahnte der westfälisch-lippische Bauernpräsident dringende Strukturveränderungen in der Molkereiwirtschaft an. Mögliche Einsparungen durch Rationalisierung, Personalabbau und Zusammenarbeit bis hin zur Fusion bezifferte Möllers auf 700 Millionen Euro.
Wenige Tage vor Beginn der Berliner »Grünen Woche« kündigte er an, »den Druck auf die genossenschaftlichen Molkereien zu erhöhen, damit sie wirklich alle Rationalisierungsspielräume ausnutzen«. Er gehe davon aus, dass Humana (Everswinkel/Herford) dabei eine Vorreiterrolle übernehmen werde. Dabei dürfe die Zusammenarbeit mit privaten Betrieben kein Tabu sein. Andernfalls laufe die deutsche Molkerei-Wirtschaft Gefahr, weiter hinter die nord- und westeuropäische Konkurrenz zurückzufallen. Umgekehrt würden sich die Investitionen in die Restrukturierung schon nach etwa drei Jahren größtenteils bezahlt machen.
Nach Aussage von Möllers hat sich der Druck auf die Landwirte durch die Ergebnisse der WTO-Welthandelskonferenz in Hongkong weiter verstärkt. Aus Brüssel drohe vom dortigen Agarkommissar sogar ein vollständiges Ende der Milchmarkt-Regulierung. Auf die Frage, ob er den Bauern rate, auf andere Veredelungsformen -Êetwa den Getreideanbau - umzusteigen, sagte er: »Ich kann davon jedenfalls nicht abraten.«ÊAber natürlich könne jeder nur für sich entscheiden.
Auch benötige man, um als Pflanzenbauer Erfolg zu haben, mindestens 100 Hektar Ackerland.
Möllers zufolge produziert die deutsche Landwirtschaft 118 Prozent der Milchmenge, die für die Versorgung der heimischen Bevölkerung notwendig sind. Die Überproduktion schwäche die Position der etwa 100 Molkereibetriebe in Deutschland in einer Weise, dass sie bei den Verhandlungen über den Milchpreis dem Einzelhandel praktisch vollständig ausgeliefert seien. Auf der anderen Seite seien die einzelnen Landwirte zu schwach, um den Preisgesprächen mit den privaten Molkereien erfolgreich zu sein. Der Bauernverband will deshalb alle Bemühungen unterstützen, die Verhandlungsposition seiner Mitglieder durch die Bündelung ihrer Milchangebote zu stärken. Dies gelte möglicherweise sogar für die Verhandlungen mit den genossenschaftlichen Molkereien, obwohl sich diese ja im Besitz der Landwirte befinden.

Artikel vom 11.01.2006