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Wunderkinder der Musik

Uni Paderborn untersucht Förderung von Begabten

Von Dietmar Kemper
Paderborn (WB). »Heute ist man vorsichtiger mit dem Begriff Wunderkind«, sagt Professor Heiner Gembris. Er leitet das Institut für Begabungsforschung in der Musik an der Universität Paderborn.
Das sind die ersten vier Takte der Kleinen Nachtmusik von Mozart. Die Serenade in G-Dur entstand 1787.

Hochtalentierte junge Menschen möchten nicht Wunderkind genannt werden, sagte Gembris gestern dieser Zeitung, denn diese Bezeichnung erhöhe die Erwartungshaltung und erwecke den Eindruck, als fliege musikalisches Genie zu. Dabei seien harte Arbeit und Zielstrebigkeit die entscheidenden Erfolgsfaktoren. »Kennzeichen von Hochbegabung ist die intrinsische Motivation, die Begeisterung, die von innen kommt«, erklärte der 51-jährige Professor für empirische und für psychologische Musikpädagogik. Die Karriere der Jungen und Mädchen, die von dem Bedürfnis, Musik zu machen, angetrieben werden, beginne meist mit fünf, sechs Jahren, wenn sich die Begabung deutlich zeige. Im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren folge meist der erste öffentliche Auftritt. »Die Hochbegabten unterscheiden sich von ihren Altersgenossen dadurch, dass sie sehr viel mehr üben«, betonte Gembris. Bis zu acht Stunden am Tag feilen sie an ihrem Können.
So wie damals bei Mozart gelten auch heute das ungewöhnlich schnelle Erlernen von Instrumenten, frühes Verständnis für Komposition und eine umfassende Hörfähigkeit als Indizien für Hochbegabung. Gefördert werden die Talente in Schulen mit besonders ausgeprägtem musischen Zweig wie dem Gymnasium Belvedere in Weimar. An der Musikhochschule Detmold nimmt im Wintersemester 2006 das »Zentrum für musikalische Hochbegabung« seinen Betrieb auf. Es heißt »Amade« und erinnert damit an Mozart, der »zum Inbegriff der Hochbegabung wurde«, wie Heiner Gembris betont. Im 18. und 19. Jahrhundert habe es viele vermeintliche Wunderkinder gegeben, die wie Zirkuspferdchen vorgeführt wurden und mit denen die Eltern Geld verdienen wollten. »Viele von ihnen wurden mit Essens- und Liebesentzug für Fehlverhalten bestraft, Paganini wurde geschlagen«, weiß Gembris.
Hochbegabte Musiker spielten bevorzugt Geige und Klavier, so wie die angehenden Stars der Gegenwart Jewgenij Kissin (Klavier) und Sarah Chang (Geige). Hochbegabte Kinder forderten ihren Eltern einiges ab, betont Gembris: »Sie müssen teure Instrumente anschaffen, Taxi spielen und die Musiker zu Meisterkursen und Wettbewerben bringen.« Hochbegabung ist deshalb nicht nur ein seltener kreativer Status, sondern auch eine Lebensform.

Artikel vom 11.01.2006