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Knast oder
Klinik - wohin
mit Meiwes?

Neuer Prozess beginnt heute

Frankfurt/Main (dpa). Nur auf die grausamsten Video-Bilder wollen die Frankfurter Richter verzichten, wenn sie eine gerechte Strafe für den »Kannibalen von Rotenburg« suchen. Wenn von heute an der Prozess gegen den 44-jährigen Armin Meiwes komplett neu aufgerollt wird, fangen die Juristen wieder bei Null an.

Nahezu jedes blutige Detail wird vor der 21. Strafkammer des Landgerichts ausgebreitet werden. Dennoch deutet bereits vieles auf eine lebenslange Haftstrafe für Meiwes hin. Im Frühjahr 2001 hatte der EDV-Experte einen Berliner Ingenieur auf dessen Verlangen entmannt, getötet, zerlegt und in Teilen gegessen.
Sehr eindeutig hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe das vor zwei Jahren gefällte Urteil des Landgerichts Kassel auseinander genommen, das Meiwes wegen Totschlags lediglich für achteinhalb Jahre hinter Gitter schicken wollte. Die Kasseler Richter hätten zu Unrecht gleich mehrere Mordmerkmale abgelehnt, hieß es in der Revisionsentscheidung.
Das Frankfurter Gericht muss nun im Karlsruher Auftrag prüfen, ob Meiwes nicht doch in erster Linie zur sexuellen Lustbefriedigung getötet hat und um andere Straftaten erst zu ermöglichen, wie etwa die Störung der Totenruhe und die Verbreitung der Gewaltbilder im Internet.
Trotz der klaren Vorgaben aus Karlsruhe werden sich die Juristen mit der Einmaligkeit des Geschehens in dem nordhessischen Schlachtkeller eines gottverlassenen Gutshofes in Rotenburg-Wüstefeld auseinander setzen müssen. Kannibalismusfälle hat es auch in Deutschland schon gegeben, ohne Beispiel ist aber der Umstand, dass Täter und Opfer, die sich zuvor im Internet gefunden hatten, wohl im vollen Einverständnis handelten, so gestört sie in ihren Persönlichkeitsstrukturen auch waren. Meiwes Anwalt Harald Ermel hat aus diesem Grund eine Verurteilung wegen der »Tötung auf Verlangen« beantragt, mit einem Strafmaß zwischen einem halben und fünf Jahren Haft.
Dass selbstlose Sterbehilfe hinter der grausigen Tat stehen könnte, hatten schon die Kasseler Richter verneint. Der Psychiater Georg Stolpmann aus Göttingen und der Berliner Sexualwissenschaftler Klaus Beier bescheinigten Meiwes eine »schwere seelische Abartigkeit mit schizoiden Zügen«, gleichzeitig aber die volle Schuldfähigkeit. Damit fehlte die Grundlage, Meiwes in die Psychiatrie zu schicken, wo er nach Meinung etwa des Kasseler Richters Volker Mütze hingehört.
Der emeritierte Gießener Kriminologe Arthur Kreuzer hat den BGH wegen seines harten Revisionsspruchs schwer gescholten und vorgeschlagen, die eigentlich gemeingefährlichen Gewohnheitsverbrechern vorbehaltene Sicherungsverwahrung auf Ersttäter auszuweiten, wenn bei ihnen die Wiederholungsgefahr festgestellt werden könne. Der vor Gericht stets beflissen auftretende Meiwes hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er auch nach seiner Tat neue Schlachtopfer gesucht hat - und dies bei Gelegenheit wieder täte.

Artikel vom 12.01.2006