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Iran im Kreuzfeuer der Kritik

Atomforschung voll aufgenommen - Steinmeier droht mit Konsequenzen

Teheran/Genshagen (dpa/Reuters). Ungeachtet scharfer internationaler Proteste hat Iran gestern sein umstrittenes Atomforschungsprogramm wieder voll aufgenommen.
Frank-Walter Steinmeier: Iran hat Linie überschritten.

In Anwesenheit von Inspekteuren der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) entfernten iranische Techniker Siegel an der Atomanreicherungsanlage Natans und zwei weiteren Atomanlagen. Dies bestätigte IAEO-Chef Mohammed el Baradei, der die Entscheiung Teherans scharf kritisierte. Der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergie-Organisation hatte Teheran 2005 mehrfach aufgefordert, auf die Urananreicherung dauerhaft zu verzichten, weil damit auch spaltbares Material für Atombomben hergestellt werden kann. Der Iran will die Urananreicherung »in geringem Umfang« wieder aufnehmen. Dies geht aus einer Erklärung hervor, die die IAEO am Abend veröffentlichte.
Zuvor hatten die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats Teheran in separaten Schreiben vor einseitigen Schritten gewarnt.
Nach den Worten von Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird das iranische Vorgehen Konsequenzen haben. Mit der Entfernung der Siegel von Atomanlagen habe die Führung in Teheran »eine Linie überschritten, von der die Iraner wussten, dass sie nicht ohne Folgen bleiben werde«, sagte Steinmeier am Rande der Kabinettsklausur in Genshagen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich besorgt über die Zuspitzung im Konflikt um das iranische Atomprogramm.
Auf einem Krisentreffen in Berlin will die Europäische Union über ihre Reaktion beraten. EU-Diplomaten sprachen in Brüssel von einer »sehr ernsten Lage«. Es sei »höchst fraglich«, ob die Atomgespräche zwischen der EU und Iran tatsächlich wie geplant am 18. Januar aufgenommen werden könnten. Eine endgültige Entscheidung darüber werde jedoch von den Außenministern Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens getroffen, die von der EU mit den Iran-Verhandlungen beauftragt sind.
Die USA verurteilten die Entfernung der Siegel an den Anlagen scharf. Die iranische Führung zeige damit »ihre Missachtung der internationalen Besorgnis und der internationalen Diplomatie«, sagte der US-Botschafter bei der IAEO, Gregory Shulte, in Wien. Die USA fordern seit Jahren internationale Sanktionen gegen Teheran. Der britische Premierminister Tony Blair erklärte, die internationale Gemeinschaft verfolge die Entwicklung in Iran mit zunehmender »Ungeduld«. Frankreich warnte Iran und Nordkorea vor einer militärischen Nutzung der Kernkraft.
Russland rief Iran zum Aussetzen seiner umstrittenen Atomforschung bis zu einer weiteren bilateralen Gesprächsrunde im Februar auf. Außenminister Sergej Lawrow betonte, sein Land sei besorgt »über jüngste Informationen, dass Iran in nächster Zeit Arbeiten zur Urananreicherung trotz eines Moratoriums wieder aufnehmen will«.
Der Vizechef der iranischen Atomenergieorganisation, Mohammed Saaidi, sagte, dass Iran in voller Übereinstimmung mit der IAEO vorgehe. Neben der Anlage in Natans würden auch »alle anderen relevanten Forschungs-Zentren« in Betrieb gehen. Die Forschung beschränke sich nicht auf theoretische Fragen, sondern schließe auch praktische Arbeiten ein. Er deutete die Produktion von Ersatzteilen für Zentrifugen an, die zur Urananreicherung gebraucht werden. Er unterstrich jedoch, dass das Forschungsprogramm von der Urananreicherung unterschieden werden müsse. Die Anreicherung bleibe suspendiert.
Iran hatte sich 2004 in einem Abkommen mit der EU verpflichtet, alle Aktivitäten zu unterlassen, die zur Anreicherung von Uran beitragen. Die EU und die USA fürchten, dass Iran über den Anreicherungsprozess atomwaffenfähiges Uran produzieren könnte. Seite 4: Kommentar

Artikel vom 11.01.2006