25.01.2006
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Frau Sophie überließ ihr das Kind beruhigt, denn sie hatte ein feines stilles Benehmen; und Anna fühlte
sich wohl bei ihr.
Später, als Anna älter wurde, besuchte sie manchmal Karoline in dem schwarz-weißen Fachwerkhof, auf den sie damals heiraten mußte, obgleich Nordkämper, ihr Mann, trank und den Hof hatte verlottern lassen.
Und bei Karoline gab es Pickert mit Bickbeeren. Deshalb erinnerte Erli so oft daran, daß sie zu Karoline wollten.
Erli kam jeden Morgen mit Herrn Kandidat Busse von Haus Brocke zu den gemeinsamen Schulstunden herübergefahren. Seine Mutter, Frau Steinbeck, hatte es so gewünscht. Sie war die Schwester von Hauptmann Helhusen, und seit ihr Mann starb, mußte der Bruder bei Erlis Erziehung helfen, denn sie war leidend und verbrachte die Tage auf dem Diwan, betreut
von Fräulein Rabe, der Gesellschafterin aus den Ostseeprovinzen.
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Mit Erli spielte sie gern: im Kartoffelkeller, wo es allein zu dunkel war, und auf dem Floß, das Tischler Brömmelmeier aus zwei Tonnen für sie zusammengeschlagen hatte; darauf machten sie weite Reisen um den ganzen Teich. Am schönsten war es unter der großen Steinbrücke. Oder sie kletterten im Hof auf einen Leiterwagen und fuhren mit ins Feld und freuten sich, wenn es vom Wege herunterging, daß ihre Backen tüchtig von der Erschütterung wackelten.
Aber Erli hatte meistens Wichtigeres zu tun. Er mußte Frittken Knollmann im Schweinestall helfen. Da stampfte er die Rüben und zerrührte die heißen Kartoffeln. Er hatte auch ein kleines Buch, in das trug er genau seine Arbeitszeit ein: ein Achteltag, ein Zehnteltag, und Sonnabend mußte er bis zum Abend bleiben, damit er um sieben mit allen Arödern zusammen aufs Kontor gehen konnte und von Onkel Helhusen seinen Lohn holen.
Zu Hause war man nicht so begeistert für diese Tätigkeit. Fräulein Rabe, die Gesellschafterin aus den Ostseeprovinzen, empfing ihn stets mit einem wehmütigen Zug um die Nase: »Mir scheeĆint, du warst wieder im SchweeĆinestall!«
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Sie nahm Erli nie mit an den Bach; Erli hätte das langweilig gefunden oder Molche gesucht und das Wasser trübe gemacht. Es durfte auch niemand wissen, daß sie noch die ganzen Nachmittage mit dem Bach spielte, als sie schon ein großes Mädchen war.
Aber nirgends fühlte sie sich so geborgen wie zwischen den hohen lehmigen Ufern. Der Bach und sie kannten sich genau; sie hätten sich an der Hand nehmen können und verträumt durch die Wiesen wandern, fern, zwischen den heidigen Hügeln hindurch, hinter denen die weite Welt lag.
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Es gab soviel Unerforschliches, wovon man nicht wissen konnte, warum es so war. Warum doch zum Beispiel, wenn Besuch kam, alle anders waren als sonst, anders aussahen und anders sprachen. »Das muß so sein«, dachte Anna und versuchte möglichst schnell wieder zu entschlüpfen, nachdem das Guten-Tag-Sagen in der reinen Schürze überstanden war.
Wenn Doktors und Amtmanns aus der Stadt kamen, brachten sie Käthe und Milchen mit, die so alt waren wie Anna und ihre Freundinnen hießen.
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Aber wenn Käthe und Milchen dann kamen, zeigte sie es nicht. Weil es wohl doch nicht schön genug für sie war. Denn Käthe und Milchen schienen ihr so fein und so klug. Schon allein der Glanz ihres blonden Haares verwirrte Anna.
Sie stand bewundernd neben ihnen und staunte sie an, mit dem schmerzlichen Bewußtsein, daß sie nie so fein und so klug und so schön werden könnte wie Käthe und Milchen. Sie hatten schon geradeso ein
elegantes Benehmen wie ihre älteren Schwestern; sie hielten den Kopf etwas schief, wenn sie über Wichtiges sprachen, oder sie verschwiegen die Hauptsache mit einem halben Augenschließen.
Was wußten sie nicht alles! Wenn sie nur von der Tanzstunde redeten und plötzlich in einem spitzen Lächeln stille schwiegen!
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Vielleicht kam es auch von dem blauen Kleid mit den weißen Litzen, wie es Frau Schoßmeier immer für sie nähte. Käthe und Milchen hatten richtige Stehkragen mit krauser Spitze drin.
Und Käthe und Milchen kamen eigentlich nur, weil sie draußen in der Weide auf Annas Pferd sitzen durften, wenn Kutscher Heinrich Zeit hatte, es am Zügel zu führen. Denn dies war das einzige, was Anna ihnen voraushatte, daß sie reiten konnte und ihren Vater manchmal begleiten durfte, wenn er über die Felder ritt.
Das wäre denn gerecht verteilt gewesen; dennoch hatte Anna schwerer zu leiden unter der gemeinsamen Sündenlast. Bei Erli waren nur die roten Flecke nachhaltig in seinem hellen Gesicht; sonst genügte das unbotmäßige Zuschlagen einer Tür und draußen das Pfeifen einer leichtfertigen Melodie, um ihn wieder
ins Gleichgewicht zu schnellen. Freilich, beim Onkel wagte er es nicht; aber Herrn Busse brachte er damit zur Verzweiflung. Der ließ ihn dann jedesmal zurückkommen; doch bis dahin hatte Erli längst wieder den liebenswürdigsten Ausdruck in den blauen Augen und erklärte mit einer unwiderstehlich süßen Stimme sein Bedauern über die zu laute Tür.
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So verliefen die Strafen, die man als unabwendliche Folge schon vorausgesehen hatte.
Artikel vom 25.01.2006