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Eine »ausgestorbene« Spezies

ARAT-Cup: Ex-Torjäger Siegfried Reich tanzte nur eine Saison beim DSC

Von Jörg Manthey
Bielefeld (WB). Beim VfL Wolfsburg und Hannover 96 verehren sie ihn noch heute als »Held«. Das rührt Siegfried »Siggi« Reich (46), der in seiner aktiven Zeit mit der Lizenz zum Tore schießen ausgestattet war. Auf der Bielefelder Alm liebten sie den Instinktfußballer genauso. Leider wirbelte er hier nur für eine Saison. Am Mittelstürmer lag's nicht, dass Arminia am Ende der Serie 1984/85 in die 2. Liga absteigen musste. Reich erzielte 18 Tore, davon 14 im eigenen Stadion. »Bielefeld war mein Durchbruch«, blickt der Wolfsburger 21 Jahre zurück.

Uli Büscher, sein einstiger Alm-Weggefährte, freute sich riesig auf die Stippvisite des Torjägers. »Ein lustiger Zeitgenosse. Der Junge ist in Ordnung. Siggi hat nur deshalb so viel getroffen, weil er von mir die passenden Flanken gekriegt hat«, grient der Alt-Armine. »Dafür gibt's auch Videobeweise«.
Siegfried Reichs Premierenauftritt beim ARAT-Cup begann zunächst ganz nach Wunsch. Der erste Schuss des etwas fülliger gewordenen Goalgetters auf das Bremer Tor bedeutete zugleich das erste Turniertor für die Gelb-Schwarzen des VfL Wolfsburg - 1:1. Seiner Vorlage zum 3:1 folgte nach der Pause ein weiterer Abschlussversuch, der dann aber in eine Zerrung gipfelte. Ein wissender Griff an den rechten Oberschenkel, eine schmerzverzerrte Fratze, ein humpelnder Abschied.
Aus Reichs 33 Einsätzen für Bielefeld ragen zwei Spiele heraus. Beim 3:4 gegen Werder Bremen (Dezember 1984) ging der »Dreierpack« auf seine Kappe, beim 4:2 gegen den Karlsruher SC (Mai 1985) gar alle vier Tore. Zum Saisonhappyend reichte es dennoch nicht. Nach zwei dramatischen Relegationsspielen gegen den 1. FC Saarbrücken (0:2/1:1) stand die Zweitklassigkeit, und Reich zog weiter zu Hannover 96. Dort schoss er bis 1989 insgesamt 59 Tore für die »Roten«.
Im Juni 1996 beendete der Goalgetter nach 316 Spielen für den VfL Wolfsburg seine Karriere. Zehn Monate später wurde ihm ein Abschiedsspiel zuteil gegen eine Auswahl ehemaliger Nationalmannschafts- und Bundesligaspieler wie Schumacher, Ordenewitz, Hrubesch, Kaltz. Endstand 4:4.
»Solche Spielertypen wie Rudi Völler oder Frank Mill oder mich gibt's heute doch gar nicht mehr«, spricht Reich traurig von einer »ausgestorbenen Spezies«. Das Fußballspiel habe sich grundlegend gewandelt; nicht unbedingt zum Positiven. »Die spielen doch heute nur noch auf Schienen. Sämtliche Laufwege sind vorgegeben. Und schon bei der Jugend wird damit angefangen«. Siggi Reich bedauert diese Entwicklung; die Kehrseite der Medaille sei Eintönigkeit. »Wenn du heute einen Jugendlichen auf eine andere Position stellst, ist der doch total überfordert. Dann kann er das Spiel gar nicht mehr lesen«.
Seit zweites Standbein floriert: Siegfried Reich betreibt in Fallersleben ein Sporthaus, dass er vor 18 Jahren mit seinem verstorbenen Vater Jürgen aufgebaut hat. Die vorhandenen Kontakte zu Händlern sind im WM-Jahr gleichbedeutend mit Eintrittskarten zu Weltmeisterschaftsspielen. »Aber das WM-Fieber hat mich noch nicht gepackt«. Gleichwohl drückt der A-Lizenzinhaber den Deutschen die Daumen, »so weit wie möglich nach vorne zu kommen«.
Neugierig verfolgt Siggi Reich, ob und wie Jürgen Klinsmanns Neuerungen Wirkung zeigen. »Neue Sachen stoßen naturgemäß auf Kontroverse. Aber es war mal gut, neuen Schwung in den Laden zu bringen. Beim DFB schien mir vieles ein bisschen eingeödet«.
Seine Anhänger haben Reich, Ehrenmitglied im Fanclub »Lutterwölfe«, nicht vergessen. Dieses Gefühl sei »mit Worten nicht zu beschreiben«. Als Geschäftsmann gibt der Ex-Profi gerne etwas zurück, spendiert der F-Jugend des VfB Fallersleben schon mal einen Satz Trikots. Bei besagtem VfB tritt übrigens schon die nächste Reich-Generation an den Ball. Bei Filius Dustin (8) scheint aber weniger Stürmerblut in den Adern zu fließen. »Er kommt lieber von hinten heraus«, schmunzelt der Papa, der dem eigenen Nachwuchs gerne vermittelt: »Ich habe durch den Fußball eine wunderschöne Zeit erleben dürfen«. Bielefeld eingeschlossen. »Wir hatten da eine tolle Kameradschaft«. Sport

Artikel vom 10.01.2006