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Pädagogik kennt keinen Königsweg

Lehrer Ulrich Klemens berichtet im Erzählcafé über seinen Werdegang

Brackwede (ptr). Dass aus Ulrich Klemens ein Lehrer geworden ist, mutet angesichts seiner schlechten Erfahrungen, die er in jungen Jahren mit der Schule machte, eigenartig an. Prügelstrafe und Drangsalierung, er hat beides am eigenen Leib erfahren müssen. »Deshalb habe ich mich bemüht, als Lehrer das Menschliche stärker in den Vordergrund zu rücken.«

Schon zu seinem ersten Schultag im Jahr 1942, musste man Klemens »mit einiger Gewalt« schleppen. Als Linkshänder hatte er schlechte Karten. Schließlich hatte im Dritten Reich jeder Schüler mit rechts zu schreiben. »Mein Lehrer hat mir deshalb so oft auf die linke Hand geschlagen, bis ich nicht mehr anders konnte«, erinnert sich der Pädagoge, der 1935 in Bochum geboren wurde.
Zwei Jahre dauerte diese Quälerei, dann zerstörten Bomben das Schulgebäude. Da viele Lehrer an der Front waren, fiel der Unterricht fortan aus. Klemens Familie zog nach Langenfeld im Weserbergland, wo er »eine wunderschöne Zeit» verlebte. Erst im Dezember 1945 begann der Ernst des Lebens mit dem Besuch der vierten Klasse, jetzt in Castrop-Rauxel, von Neuem.
Den Erfahrungen entsprechend war Klemens Berufswunsch zunächst auch nicht Lehrer sondern Mediziner. Ein teurer Studiengang, den die Eltern nach einem Semester in Marburg nicht mehr finanzieren konnten. Auf Anraten seines alten Schulkameraden Dieter Kirsch sattelte er auf Pädagogik um und studierte in Münster.
Ein Schritt, der vieles zum Guten lenkte. Klemens lernte seine Frau Elke kennen und heiratete 1963. Über die Stationen Hagen, Dortmund und Gelsenkirchen-Buer, »sie sehen, ich komme aus einer schmutzigen Gegend«, verschlug es ihn 1965 nach Sennestadt. Hier war Karl Heinz Potthast, Gründungsdirektor der Hans-Ehrenberg-Schule (HES), auf der Suche nach Lehrern, die bereit waren, das verkrustete Schulsystem ein wenig aufzubrechen.
»Unser Kollegium hatte ein Durchschnittsalter von 32 Jahren. Wir haben versucht ein System zu entwickeln, das Schüler ohne Druck zum Lernen animiert«, erzählt Klemens. Er half mit, die HES zu einem offenen Haus zu machen. Ob Chemie, Sport oder Werkraum, »die Einrichtung sollte jederzeit genutzt werden können«. Statt stumpfer Vokabelpaukerei, experimentierte er im Fach Latein mit einem System ohne Klassenarbeiten. Sein Credo: »In der Pädagogik gibt es keinen Königsweg der Wissensvermittlung, weil jeder Mensch einzigartig ist.«
Der Erfolg seiner Ideen sprach sich schnell rum. 1973 wurde er nach Bethel gerufen, um dort die von-Bodelschwinghschen-Schulen neu zu organisieren. Sein Modell, die gymnasiale Oberstufe mit der beruflichen Ausbildung zusammenzulegen, konnte sich jedoch nicht durchsetzen.
Seit 1983 engagiert sich Klemens für fünf Schulen in Palästina, die schwerpunktmäßig Mädchen eine Ausbildungschance geben wollen. Und selbst im Ruhestand kümmert sich der Pädagoge noch um Projekte für Schulverweigerer oder straffällig gewordene Kinder in der Uckermark. Insgesamt viel zu viel Gesprächsstoff für nur einen Nachmittag im Erzählcafé. Deshalb hat Klemens versprochen schon bald wiederzukommen, um dann ausführlicher über die späteren Phasen seines Lebens sprechen zu können.

Artikel vom 10.01.2006