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Vogelgrippe erreicht türkische Hauptstadt

30 Personen im Land offenbar mit dem Virus infiziert

Istanbul/Berlin (dpa/Reuters). Das tödliche Vogelgrippe-Virus H5N1 rückt weiter nach Europa vor. Eine Woche nach dem ersten Todesopfer in der Türkei ist die Zahl der Krankheits- und Verdachtsfälle dort stark gestiegen.
Gestern wurde das lebensgefährliche Virus erstmals bei drei Menschen aus der Region der Hauptstadt Ankara nachgewiesen, teilten die Gesundheitsbehörden mit. Damit haben sich die Krankheitsfälle in der Türkei gut 1000 Kilometer nach Westen ausgedehnt. Von 28 Proben seien fünf positiv ausgefallen, teilte die Gesundheitsbehörde in Ankara mit. Die beiden anderen Patienten, die sich mit dem Erreger infiziert hätten, stammten aus der Provinz Van im Osten der Türkei, wo es in der vergangenen Woche die ersten drei Todesopfer gegeben hatte.
Einen Infektionsherd der Vogelgrippe hat das türkische Landwirtschaftsministerium auch im europäischen Teil des Landes festgestellt. So wurde das Virus in Labortests auch bei Tieren in Kücükcekmece nachgewiesen, einem westlichen Außenbezirk der Zehn-Millionen-Stadt Istanbul, wie gestern Abend bekannt wurde. Ob es sich um den auch für Menschen gefährlichen H5N1-Virusstamm handelt, ging aus der Mitteilung des Ministeriums nicht hervor.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden derzeit in der Türkei mindestens 30 Patienten behandelt, die vermutlich mit dem aggressiven Krankheitserreger infiziert sind. Drei Geschwister waren in den vergangenen Tagen in der Uni-Klinik der osttürkischen Stadt Van gestorben, zwei von ihnen nachweislich nach einer Ansteckung mit dem H5N1-Virus.
Der türkische Gesundheitsminister Recep Akdag betonte, dass die Befunde der WHO keinen Hinweis darauf erbracht hätten, dass sich der in der Türkei nachgewiesene Erreger vom Menschen auf den Menschen übertrage. Akdag sprach - vor der Bekanntgabe der neuen Ergebnisproben in Ankara - von vier gesicherten H5N1-Fällen. Dabei handele es sich um das gestorbene Geschwisterpaar im Alter von 14 und 15 Jahren sowie um ein achtjähriges Mädchen und einen fünfjährigen Jungen, die beide stationär in Van behandelt werden. Angesichts der vielen besorgten Menschen, die in großer Zahl wegen vermuteter oder vermeintlicher Grippesymptome Krankenhäuser aufsuchten, warnte der Minister vor Panik.
Seit dem ersten Auftreten der Vogelgrippe im Osten der Türkei Mitte Dezember 2005 wurden jetzt auch im Nordwesten des Landes Fälle der Tierseuche bei Hühnern nachgewiesen. In zwei Dörfern der Provinz Zonguldak am Schwarzen Meer sei mit der Vernichtung von 1500 Hühnern begonnen worden. Ein zweiter Verdachtsfall wurde aus der Provinz Bursa berichtet.
Gleich in mehreren Regionen Mittel- und Ostanatoliens ordneten die Behörden Massentötungen von Geflügel, Quarantänen, Verkaufs- und Transportverbote an.
Landwirschaftsminister Horst Seehofer stellte eine erneute Stallpflicht für Federvieh in Deutschland in Aussicht. »Wir gehen bisher davon aus, dass man wohl ab Anfang März wieder mit einer Aufstallung rechnen muss«, sagte Seehofer gestern. Das werde aber erst mit Experten geprüft, ebenso, ob eine Stallpflicht bei einem zeitigeren Vogelzug auch früher umgesetzt werden könne. Die Fälle in der Türkei zeigten, »dass wir auch in Deutschland äußerst vorsichtig sein müssen. Die Natur kennt keine Grenzen«. Der Türkei bot Seehofer die Entsendung deutscher Virologen als Hilfe an. Roland Stahl, Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, verlangte mehr Kontrollen an Flughäfen und Bahnhöfen.
Eine WHO-Delegation der WHO flog gestern in den Osten des Landes. Die Experten wollen untersuchen, wie sich die Betroffenen angesteckt haben. Weltweit geht die WHO nach den Todesopfern in der Türkei nun von 146 bestätigten Fällen in Kambodscha, China, Indonesien, Thailand, der Türkei und Vietnam aus.

Artikel vom 09.01.2006