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Harrer hat die »letzte
Expedition angetreten«

Bergsteiger stirbt 93-jährig im Krankenhaus in Kärnten

Wien (dpa). Der österreichische Bergsteiger, Forscher und Lehrer des Dalai Lama, Heinrich Harrer, ist tot. Er habe »mit großer Ruhe seine letzte Expedition angetreten« und sei am Samstagmorgen mit 93 Jahren im Krankenhaus in Friesach (Kärnten) gestorben, berichtete seine Familie.
Die Eiger Nordwand galt als unbezwingbar. Harrer durchstieg sie im Jahre 1938.

»Mit Harrer verliert der Alpinismus eine große und prägende Persönlichkeit«, würdigte der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel den Verstorbenen. Das Begräbnis ist für Samstag in seiner Heimatgemeinde Hüttenberg in Kärnten geplant.
Harrer war vor allem durch seine legendäre Erstbesteigung der Eiger Nordwand im Jahre 1938, seine abenteuerliche Flucht aus britischer Gefangenschaft nach Tibet im 2. Weltkrieg sowie durch seine Freundschaft mit dem Dalai Lama bekannt geworden. Zu internationalem Ruhm gelangte er nach der Verfilmung seines Romans »Sieben Jahre in Tibet«. Heinrich Harrer wurde in dem Streifen von Brad Pitt gespielt.
Der 1912 in Hüttenberg als Sohn eines Postbeamten geborene Alpinist Harrer verdiente nach Sport- und Geographiestudien sein Geld als Bergführer und Skilehrer. Weltweit bekannt wurde er am 24. Juli 1938 mit der Erstbesteigung der fast 2000 Meter hohen Eiger Nordwand. Harrer war der letzte Lebende dieser vierköpfigen Seilschaft. Sein Bergkamerad Andreas Heckmair war vor elf Monaten im Alter von 98 Jahren gestorben.
Seine Vergangenheit während der Nazizeit, die von ihm Jahrzehnte lang verschwiegen worden war, blieb umstritten. Er begründete später seine Mitgliedschaft in der NSDAP und der SS mit Opportunismus und beruflichem Ehrgeiz. Selbst seine Kritiker räumten jedoch ein, dass Harrer nie ein aktiver Nazi oder Ewiggestriger gewesen ist.
Der Vereinnahmung durch die Nazis konnte er sich durch die Teilnahme an der deutschen Himalaya-Expedition 1939 entziehen. Auf dem Rückweg wurde Harrer nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs von den Engländern interniert. Der fünfte Ausbruchversuch gelang. Innerhalb von 21 Monaten schlug er sich über 2000 Kilometer und 31 Bergpässe bis ins damals noch verschlossene Tibet durch. Dort wurde er unversehens als Lehrer des jungen Dalai Lama engagiert (1946-1951). Diese Erfolgsgeschichte wurde später verfilmt.
Nach seiner Rückkehr nach Europa zog es den Forscher und Höchstleistungssportler zu Dutzenden Expeditionen, die ihn von Südamerika bis nach Alaska, vom Pazifik bis nach Afrika führten. Seine schnelle Auffassungsgabe ließ ihn zahlreiche, zum Teil exotische Sprachen lernen. Seine Erfahrungen hielt er in mehr als 20 Büchern fest. Das bekannteste Werk »Sieben Jahre in Tibet« wurde in 48 Sprachen übersetzt. Viele Bücher über kaum bekannte Völker wurden zu Standardwerken. Harrer drehte 40 Dokumentarfilme.

Artikel vom 09.01.2006