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»Einfach nur noch schöne Lieder singen«

Amerikanische Folk-Sängerin Joan Baez wird 65

New York (dpa). Ihr trotziges »We Shall Overcome« singt Joan Baez nur noch selten. »Ich bin doch keine Nostalgie-Jukebox«, wehrt die amerikanische Folksängerin ab, die am Montag 65 Jahre alt wird.
Die inzwischen weißen Haare kurz geschnitten: Joan Baez heute.

Viele Jahrzehnte führte sie die Friedensbewegung mit ihren Protestsongs an, engagierte sich in Chile, Argentinien, Kambodscha und Vietnam. Heute mischt sich die Ikone der Bürgerrechtsbewegung nur noch in Ausnahmefällen unter Demonstranten, zuletzt bei einer Mahnwache gegen die Todesstrafe für den Kinderbuchautor Stanley »Tookie« Williams.
Der neuen Joan Baez ist »die Musik wichtiger als die Botschaft«. Sie will »einfach nur schöne Lieder« singen, sagt sie. Ihre oft schrille Sopranstimme ist tiefer geworden, durch Gesangstunden auch besser ausgebildet. Nach dem Start mit Folksongs, Balladen und Blues und Abstechern in die Country- und Popmusik hat Baez auf ihre alten Tage zu rocken begonnen. Schon im März kommt sie mit ihrer Band wieder nach Deutschland. Stationen ihrer Tournee sind unter anderem Frankfurt (24.) und Hamburg (25. März) sowie Düsseldorf (7. April).
In den 60er Jahren galt die Tochter eines mexikanischen Physikers als »die Muse des Flower-Powers«. Sie machte Bob Dylan bekannt und war einer der Stars des Woodstock-Festivals. Joan Baez sang für die Einsamen und Entrechteten der Welt, wider den Krieg und für die Liebe. Beim »Civil Rights March« in Washington marschierte sie 1963 neben Martin Luther King, 1979 gründete sie eine Menschenrechtsorganisation, während der ersten »Intifada« trat sie im Westjordanland und im Gaza-Streifen auf.
Im Gegenzug bekam sie den Druck der Obrigkeit zu spüren. Joan Baez wurde von der US-Regierung zeitweise als Sicherheitsrisiko eingestuft und landete 45 Tage im Gefängnis, ihre Platten wurden aus den Läden verbannt. Doch all das vermochte nichts an ihrer Aufsässigkeit zu ändern. Dass die nach außen zuversichtliche Kämpferin über Jahre ein psychisches Wrack war, wussten nur wenige. Die 70er verbrachte sie abwechselnd mit Therapien und Tourneen. Den Platten der aufrechten Antikriegsrechtlerin fehlte es in den 80ern immer mehr an Ausdruckskraft und Intensität. Am Ende suchte sich Baez ein Refugium in der Natur.
Heute ist die zarte Frau mit dem lässigen Kurzhaarschnitt und der Designerbrille wieder obenauf: »Ich habe mit schlechten Angewohnheiten gebrochen und mache endlich Musik.« Ihre jüngste CD »Bowery Songs« ist der Mitschnitt eines Live-Konzerts aus dem Jahr 2004 in New York. Für das Werk davor, »Dark Chords On A Big Guitar«, ließ sich Baez sechs Jahre Zeit.

Artikel vom 07.01.2006