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Im Winterschlaf schlägt das Igelherz nur fünfmal pro Minute

Kalte Jahreszeit beeinflusst Organismus der heimischen Tiere massiv

Von Dietmar Kemper
Paderborn (WB). Im Winter verhalten sich Tiere wie in Zeitlupe. »Sie versuchen möglichst viel Energie zu sparen«, erklärt Jan Preller vom Forstamt Paderborn. Wildschweine, Hirsche, Rehe, Füchse und andere Säugetiere wechseln zudem ihr Fell zweimal im Jahr.
Das viel dickere Winterhaar mit isolierender Luft schützt Rehe vor der Kälte. Bei starken Schneefällen wandern sie aus höheren Lagen in die Täler, wo sie sich eine bessere Versorgung mit Nahrung erhoffen.

Beim Wildschwein besteht die »Winterschwarte« aus langen, steifen Borsten als Schutz vor Dornen und Nässe sowie aus weichem, dichtem Unterhaar zur Wärmeisolation. Die Fellfarbe ist dunkel und soll so Sonnenwärme sammeln. Preller: »Das ist der Schwarze-Autos-Effekt.« Das Winterfell des Rehwildes enthalte jetzt statt der (reh-)braunen Farbstoffe des Sommers Luft im viel dickeren Winterhaar. So isoliere das Fell nicht nur zwischen, sondern auch im Haar.
Beim Hermelin schütze das weiße Winterhaar im Winter besser vor Feinden. Im Sommer ist das Fell braun. Kurios: In Regionen mit wenig Schnee wie in England behält das Hermelin die braune Farbe auch während der kalten Jahreszeit. Was tun Vögel im Winter? »Sie plustern sich bei Kälte auf und isolieren durch die entstehenden Hohlräume die Körperwärme von der Außentemperatur«, sagte Preller dieser Zeitung. Auf vereisten Teichen büßten Enten kaum Wärme ein, da die Körpertemperatur an den Füßen bis knapp über 0 Grad Celsius herabgesetzt ist. Festfrieren könnten Enten nicht, schmunzelt Preller.
Winterschlaf und Winterruhe seien nicht ein und dasselbe, betont der Fachmann: Die Winterruhe, zum Beispiel beim Eichhörnchen, Waschbär und Dachs, zeichne sich durch eine etwas geminderte Körpertemperatur aus. Die Tiere wachen mehrfach auf, um zu fressen. Beim Winterschlaf, dem zum Beispiel Fledermäuse und Igel frönen, sinkt die Körpertemperatur auf etwa 5 Grad Celsius ab und alle Lebensfunktionen wie die Herzfrequenz reduzieren sich auf ein Minimum. »Der gesamte Organismus lebt mit etwa 10 Prozent des normalen Energieumsatzes«, erläutert Preller.
Der Standby-Modus der Tierwelt hält nicht ununterbrochen an. Die Winterschläfer wachen von Zeit zu Zeit auf, um Kot und Urin auszuscheiden, zu fressen wie der Hamster oder den Ruheort zu wechseln. Siebenschläfer können bis zu einem Monat durchratzen. Wie massiv der Winter den Organismus verändert, zeigen ein paar Zahlen: Beim Igel verringert sich die Zahl der Herzschläge pro Minute im Winterschlaf von 200 auf 5, und dabei holt er nicht 50 Mal, sondern nur einmal Atem. Die Körpertemperatur des stacheligen Gesellen sinkt von 36 auf 1 bis 8 Grad, und während des Winterschlafes büßt er 20 bis 40 Prozent seines Körpergewichts ein. Beim Winterschlaf der Fledermäuse wiederum können zwischen zwei Atemzügen 60 bis 90 Minuten verstreichen.
Für alle winteraktiven Lebewesen gilt, dass sie ihre Bewegungen auf das Nötigste beschränken, um Energie zu sparen. Selbst auf Reibereien mit Artgenossen wird verzichtet. Singvögel fliegen seltener und kürzer, berichtet Preller.
Hasen nutzen die isolierende Funktion von Schnee. Sie lassen sich in ihrer Sasse einschneien und schützen sich so vor der Kälte. Preller spricht vom »Iglueffekt«. Eichhörnchen, Hamster und Eichelhäher wiederum verstecken Nahrung für schlechte Zeiten.
Um dem tiefen Schnee zu entgehen, weicht das Rotwild aus den Bergen in die Täler aus. Fuchs und Wildkatze sind ausgerechnet im Winter, ihrer Paarungszeit, besonders aktiv. Nicht alle Vögel zieht es in den Süden. Seidenschwänze und Bergfinken wandern aus dem hohen europäischen und asiatischen Norden wie der Taiga bei uns ein. »Sie werden Invasionsvögel genannt«, weiß Jan Preller.

Artikel vom 09.01.2006