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Leiser Tod im Kadmium-Camp

Vom Blei bedroht - Roma und Aschkali rangieren im Kosovo ganz unten

Von Dirk Schröder
Mitrovica/Göttingen (WB). Appelle und Hilferufe haben nichts bewirkt. Noch immer campieren 560 Flüchtlinge, darunter 260 Kinder, in drei Lagern auf einer schwermetallhaltigen Abraumhalde im Kosovo. Seit 1999 sind die Roma und Aschkali dort einer fortschreitenden Vergiftung vor allem mit Blei ausgesetzt.
Minderheit ohne Fürsprecher: Roma im Kosovo.
Noch im Herbst hatte der renommierte Umweltmediziner Klaus-Dietrich Runow, die Flüchtlinge im Auftrag der Göttinger »Gesellschaft für bedrohte Völker« (GfbV) untersucht. Sein erschütterndes Ergebnis: »Ich habe bei meinen Untersuchungen die höchste jemals in menschlichen Haarproben nachgewiesene Bleibelastung nachgewiesen.«
Runow warnte, dass die Flüchtlinge irreversible Schädigungen des Nerven- und Immunsystems und der Blutbildung davontragen würden, wenn nicht schnelle Hilfe komme. Das war im Oktober. Die Bleibelastung, die Runow ermittelt hatte, lag bei fast allen der 66 Untersuchten um mehr als das 200-fache über den Referenzbereich. Extreme Werte ergab zum Beispiel die Analyse für einen Siebenjährigen, dessen Bleiwerte um das 1200-fache über dem Referenzbereich lagen. Neben Blei wurden stark erhöhte Werte auch bei den toxischen Metallen Antimon, Arsen, Kadmium und Mangan gemessen.
Tilman Zülch, GfbV-Präsident, hat bereits im November schwere Vorwürfe an die UNMIK, der »zwischenzeitlichen Verwaltungsmission der Vereinten Nationen im Kosovo«, gerichtet. »Umnik hat die Flüchtlinge und ihre Kinder jahrelang wissentlich der hohen Belatung mit den tödlich giftigen Schwermetallen ausgesetzt.« Zülch forderte die sofortige Auflösung der Lager Cesmin Lug, Kablare und Zitkovac.
Alle dort untergebrachten Roma und Aschkali müssten in ein nicht kontaminiertes Gebiet gebracht, von einem internationalen Ärzteteam untersucht und in Therapiezentren in Westeuropa entgiftet werden. Zülch wies Vorwürfe zurück, denen zufolge Flüchtlinge durch das »Wiederaufarbeiten« alter Batterien auf Küchenherden selbst schuld an der hohen Bleibelastung seien, als ungeheuerlich und realitätsfremd zurück.
Zülch machte die Bundesregierung darauf aufmerksam, dass die UMNIK 500 000 Euro, die für die Umsiedlung der Flüchtlinge bereitgestellt sind, offensichtlich dafür verwenden wolle, diese in ehemalige Kasernen der französischen Kfor-Truppen unterzubringen. Der GfbV-Präsident: »Das wäre ein Missbrauch deutscher Hilfsgelder, denn die Kasernen liegen ebenfalls in dem kontaminierten Gebiet.«
Die drei Lager sind 1999 vom Hochkommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen auf dem verseuchten Brachland eingerichtet worden. Schon damals machte die Gesellschaft für bedrohte Völker auf die Gefahren aufmerksam.
UNHCR antwortete, dass die Lager nur für die Dauer von 45 Tagen errichtet worden wären. Mehr als sechs Jahre später gibt es sie immer noch - trotz eindringlicher Appelle von GfbV, Amnesty Internatioal, dem Internationalen Roten Kreuz, Refugees International und vielen anderen Organisationen. Bislang sind 36 Menschen in den Lagern gestorben, die meisten an Bleivergiftung. Hinzukommen zahlreiche Fehl- und Totgeburten.
Obwohl Paul Polansky, Leiter des GfbV-Kosovo-Teams, seit 1999 gegenüber den UN-Vertretern immer wieder den Satz wiederhole »jedes in den Lagern gezeugte Kind kommt mit nicht heilbaren Hirnschäden zur Welt«, werde noch immer keine Notwendigkeit gesehen, die sterbenden Menschen zu evakuieren.
Die Lage dieser Minderheit könnte verzweifelter nicht sein. Extremistische Albaner hatten zu Beginn des Kosovo-Kriegs 130 000 der früher 150 000 Roma, Aschkali und Kosovo-Ägypter gewaltsam aus der serbischen Unruheprovinz vertrieben. 14 000 ihrer 19 000 Häuser - 75 ihrer Siedlungen und Stadtteile - liegen in Trümmern oder wurden von Kosovo-Albanern in Besitz genommen.
Zynisch und anklagend stellt Polansky fest: »Wenn sie Albaner oder Serbe sind, ist die UN sehr wohl in der Lage, rasch Lösungen zu finden, um ihr Leben zu retten. Wenn sie aber Roma oder Aschkali sind, braucht es schon allein sechs Jahre, um über Möglichkeiten ihrer Rettung nachzudenken.«

Artikel vom 12.01.2006