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Eine Tasche passt immer!
Von der Lust an der kleinen Last am Handgelenk - hochwertige Accessoires sind heute fast wichtiger als die Kleidung
Taschen sind wahre »Klingelbeutel«. Mit dem Kleingepäck erzielt die Modebranche derzeit jedenfalls ihre größten Umsätze. Frauen lieben Taschen. Und der Trend, in jeder Saison das aktuell angesagteste Modell besitzen zu wollen, scheint ungebrochen.
43 Prozent aller deutschen Modehändler wollen ihr Accessoire-Angebot ausbauen. Diese Zahl ermittelte kürzlich per Umfrage die in Frankfurt erscheinende Fachzeitschrift »TextilWirtschaft«. Und illustrierte die Fakten sehr anschaulich mit den erstaunlichen Beobachtungen eines Geschäftsinhabers: Eine Kundin, die sich nur mühsam zum Kauf eines 600 Euro teuren Kleidungsstückes überzeugen lässt, nimmt auf dem Gang zur Kasse ganz auf die Schnelle eine Tasche von Prada mit. Preis: 900 Euro. Das vermeintliche Zusatzgeschäft wird also bei den Modehäusern immer mehr zur tragenden Säule.
Bei den renommierten Anbietern aus dem Luxussegment wie Celine oder Gucci machen Accessoires vom Gürtel bis zum Halstuch längst zwischen 50 und 80 Prozent vom Gesamtumsatz aus. Selbst Hugo Boss eröffnete in diesem Jahr die ersten Läden, in denen ausschließlich modisches Beiwerk verkauft wird. Und deutsche Hersteller aller Genres haben im vergangenen Jahr 2005 allein zehn Millionen Handtaschen ins Ausland exportiert, weiß der im hessischen Offenbach ansässige Bundesverband Lederwaren und Kunststofferzeugnisse zu vermelden.
Die anhaltende Erfolgsgeschichte der Tasche erklärt Birgit Schlotterbeck, Modechefin der Frauenzeitschrift »Maxi« aus Hamburg so: »Bei Kleidung haben Frauen manchmal ein Größenproblem, etwa die falsche Figur zum Trend, und sie sehen dann lächerlich aus. Selbst bei Schuhen müssen sie noch aufpassen. Aber eine Tasche, die passt immer.«
Von diesem Boom profitieren möchte nun auch die Münchener Edelgepäckmarke MCM, die gerade zu einem Neustart ansetzt. 1976 von Michael Cromer als Herausforderer an die französischen Luxushersteller wie Louis Vuitton gegründet, versank sie in den 90er Jahren immer mehr in der Bedeutungslosigkeit.
Als neuer Kreativdirektor wurde mit Michael Michalsky ein Designer verpflichtet, der beste Referenzen für die Renaissance angestaubter Modemarken mitbringt. Er formte in den vergangenen zehn Jahren aus dem traditionellen Sportartikelhersteller Adidas ein Trends setzendes Lifestyle-Unternehmen. Nun will er mit poppigen Farben, markanten Streifen und vielen Silberdetails auch MCM wieder salonfähig machen. Als Zielgruppe hat er vor allem die jungen Frauen im Blick.
Modekritiker bemängeln zuweilen, dass dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts bisher die klare Botschaft fehlt. Könnte es sein, dass diese Dekade einmal als die »Epoche der Accessoires« in die Modeannalen eingehen wird?
»Durchaus«, meint Michalsky. »Es ist ja längst akzeptiert, sich bei H&M oder Zara einzukleiden. Über die Tasche wird dann der Aspekt Luxus abgedeckt. Denn Widersprüche wie billig und teuer oder jung und alt machen heute den Reiz der Mode aus. Jeder mixt sich seinen eigenen Stil zusammen. Und ohne Tasche ist ein Outfit einfach unvollständig.«
Für das Phänomen, dass selbst die immer dreister werdenden Fälschungen die Nachfrage nach den sündhaft teuren Originalen nicht stoppen, fand Valerie Steele, Kuratorin am Fashion Institute of Technology in New York, einmal diese These: »Viele Frauen fragen sich: Wenn ich eine billige Kopie erwerbe, bin ich dann etwa selbst eine?« Also lieber ein paar (100) Euro mehr auf den Tresen - und sich fühlen wie eine Königin.
Doch wie immer, wenn ein Modetrend überreizt wird, formiert sich eine Gegenbewegung. »Ich glaube, dass der Wahn, jede Saison eine ganz bestimmte Tasche besitzen zu müssen, allmählich abebbt«, beobachtet Modeexpertin Birgit Schlotterbeck. »Viele Moderedakteurinnen und Stylistinnen tragen neuerdings wieder ihre alten Klassiker.«
Und diese Frauen gelten gemeinhin als die Vorboten neuer Trends...
Axel Botur

Artikel vom 25.02.2006