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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Am Anfang eines neuen Jahres kann man ein Wort der Zuversicht gut gebrauchen - ein Wort wie ein Geländer, das Halt gibt auf dem Weg durch die Zeit und in eine unbekannte Zukunft hinein. Die Jahreslosung für 2006 ist solch ein Wort: »Gott spricht: Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.« (Josua 1, 5b)
Diese Zusage gilt, weil der verläßlich ist, der sie macht. Es kommt eben immer auch darauf an, wer etwas sagt und ob der zu seinem Wort steht oder nur viel verspricht und wenig hält.
Ob dieses Gesagte den Menschen wirklich erreicht, hängt auch von jedem Einzelnen ab. Man muß dazu nämlich schon den Mut besitzen, es für sich selbst in Anspruch zu nehmen und davon auszugehen: Das gilt mir, damit bin ich gemeint. Dann macht man auch Erfahrungen damit.
Denn Gott macht zwar seine Verheißungen nicht davon abhängig, ob jemand sie ihm abnimmt. So kleinlich ist er nicht. Auch wer nicht an ihn glaubt, wird von ihm nicht verlassen oder fallengelassen, sondern ebenfalls begleitet, ermutigt, geführt, aufgerichtet und gestärkt. Auch der nicht Glaubende spürt und erfährt diese entscheidenden Einflüsse auf sein Leben sehr wohl. Er weiß nur nicht, woher sie kommen, und das ist ein gravierender Unterschied. Da ist zwar auch eine unsichtbare Kraftquelle im Hintergrund. Ohne sie könnte der Mensch überhaupt nicht leben. Aber mancher hält sie für nicht greifbar und für anonym. Er kann ihr nicht danken, ihr nicht sein Leid klagen, sie um nichts bitten. Er kann sich überhaupt nicht an sie wenden, und sie schweigt ihn nur an.
Um da ein Stück weiterzukommen, könnte man etwa mit der Jahreslosung eine Probe machen und erst einmal nur so tun, als ob das wahr wäre, was Gott einem darin zusagt. Auf diese Weise werden manche Erfahrungen vermutlich in einer ganz anderen Beleuchtung erscheinen, und man wird sich viel stärker fragen: Was hat dies oder jenes in meinem Dasein wirklich zu bedeuten, und was will es mir sagen?
Die Jahreslosung kann aber auch als ein Schlüssel verwendet werden, um damit das eigene Leben einmal rückwärts zu lesen und es dabei noch einmal neu, auf bisher ungewohnte Weise zu erschließen: Wo gibt es Beispiele dafür, daß ich nicht fallengelassen, sondern aufgefangen und gehalten wurde? Worin könnte ich erlebt haben, daß ein Unsichtbarer, der es aber so gut wie niemand sonst mit mir meint, mit mir auf dem Wege war und mich nicht aus den Augen gelassen hat?
Daß mancher Menschen Gottvertrauen eher gering oder gar nicht vorhanden ist, liegt nicht an Gott, sondern an einer folgenschweren Verwechslung. Viele verwechseln Gottes Zusagen mit ihren eigenen Wünschen. Sie meinen, ganz genau zu wissen, was Gott eigentlich alles für sie tun und ihnen erfüllen müßte. Vor allem möchten sie ihm am liebsten vorschreiben, was er alles zu verhindern hätte - unter anderem vieles von dem, was sie selber anrichten. Aber in Wirklichkeit muß Gott gar nichts.
Trotzdem handelt er keineswegs willkürlich. Dietrich Bonhoeffer drückt es so aus: »Nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen erfüllt Gott, das heißt: er bleibt der Herr der Erde, er erhält seine Kirche, er schenkt uns immer neuen Glauben, legt uns nicht mehr auf, als wir tragen können, macht uns mit seiner Nähe und Hilfe froh, erhört unsere Gebete und führt uns auf dem besten und geradesten Weg zu sich.«
Damit läßt sich in spannungsvoller Erwartung, aber auch in Gelassenheit der Zukunft entgegensehen. Der Liederdichter Paul Gerhardt hat dafür den Rat gegeben: »Ihn, ihn laß tun und walten, / er ist ein weiser Fürst / und wird sich so verhalten, / daß du dich wundern wirst, / wenn er, wie ihm gebühret, / mit wunderbarem Rat / das Werk hinausgeführet, / das dich bekümmert hat.«
Was das neue Jahr mit sich bringen und wie es sich für den einzelnen gestalten wird, weiß niemand im voraus, nur Gott allein. Der aber spricht: »Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.« Und darauf können wir uns verlassen.

Artikel vom 07.01.2006